Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
noch nichts dergleichen geben. Im modernen Mexiko von heute haben mich allerdings auch andere fürsorgliche Vorkehrungsmaßnahmen beeindruckt.
In der Halle des nicht überaus großen, behaglichen Hotels verwunderten mich z.B. hinter einer Glaswand Ständer mit verschiedenartigen Kleidungsstücken. Werden die zum Verkauf angeboten, wollte ich wissen. Ach wo, erklärte man mir, das sei bloß eine Vorsorge für Gäste, deren Fluggepäck verspätet oder allzu oft auch überhaupt nicht ankommt. Die können sich dann hier wenigstens notdürftig kostenlos einkleiden. Wird man sonst wo in der Welt in einem Hotel so fürsorglich bemuttert?
Über dem Waschbecken in meinem Bad war ein Täfelchen mit der Aufforderung angebracht, zum Zähneputzen nur das chemisch gereinigte Wasser aus der bereitgestellten Flasche, keineswegs das aus dem Wasserhahn zu benützen. Die Cholera geht im Lande um.Bei all dem schwebte mir noch, wie in weiter Ferne, der Anblick von Straßenverkäufern mit klebrigen Süßigkeiten vor, deren oft leprös verunstaltete Gesichter mir einst Schrecken einjagten. Und so konnten mich die neuzeitigen offiziellen Warnungen, etwa vor der Gefahr, auf der Straße überfallen zu werden, meine eigenen Beobachtungen, die überwältigende Fremdartigkeit auf Schritt und Tritt – all das konnte mich deshalb nicht allzu sehr erschrecken. Ich war wieder einmal in Mexiko. Diese Freude überschlug alles.
Und doch fehlte mir etwas, beunruhigte mich, allerdings anders als geläufige Ängstlichkeit und Nervosität in einem fremden Land. Ich war mir dessen bewußt, konnte jedoch nicht ergründen, was es war.
Als das Ehepaar Janka nach der Beseitigung technischer Flugschwierigkeiten endlich ankam und wir in unserem Hotel beim ersten gemeinsamen Frühstück zusammensaßen, bestürzte mich die konstante nervöse Spannung, die von Walter ausging. Der Mann, dem in seiner Heimat von seinen Genossen schweres Unrecht widerfahren war, schleppte, so schien mir, diese Last pausenlos mit sich, konnte von ihr nicht loskommen, so wie man zeitlebens von einer Wunde weiß, selbst wenn sie längst vernarbt ist. So wie es Geschehnisse gibt, die man nicht überleben kann, selbst wenn man sie überlebt. Diesen Satz habe ich vor Jahren im Zusammenhang mit meinem eigenen Erleben geschrieben. Jetzt fiel er mir wieder ein.
Lotte Janka kenne ich schon sehr, sehr lange, noch aus den dreißiger Jahren, von denen sie einige im Gastland Tschechoslowakei und in unserem Prag verbracht hat. Später waren wir beide im Frauenlager Rieucros interniert, ehe wir dank der Bemühungen unserer Freundein Amerika Frankreich verlassen konnten und glücklich in Mexiko landeten. So war es kein Wunder, daß sich die alte Vertrautheit zwischen uns bald wieder einstellte. Deshalb konnte ich ihr auch behutsam sagen, daß mich der Zustand ihres Mannes erschreckte. Da erzählte sie mir von ihrer Besorgnis über die schwer angeschlagene Gesundheit Walters. Und wie so oft empfand ich auch bei diesem Besuch Mexikos ein beinahe unfaßbares Glücksgefühl, daß es mir – trotz mehrjähriger Haft während des Krieges und in den fünfziger Jahren, trotz schwerer Krankheit und dem Verlust meiner ganzen Familie und vor Jahren nun auch meines Mannes – daß es mir immer noch gegeben war, nicht nur zu leben, sondern das Leben auch noch zu genießen – mit Arbeit, mit meiner Tochter und Enkeltochter, mit Freunden und einer nicht abreißenden Fülle ständig neuer Erlebnisse.
Das ist wohl auch der Grund, warum ich die wenigen Tage in Mexiko so genossen habe, warum ich sie immer wieder hervorrufe und in ihrer Eigenart begreiflich machen möchte. Wenn ich das selbst in diesen angenehmen Tagen angespannte Gesicht Jankas beobachtete, seinen Blick, der offenbar nicht mehr anders konnte, als ständig auf der Hut zu sein (Menschen, Menschen sind im Walde!) mußte ich unwillkürlich an den lebhaften jungen Walter aus unserer ersten mexikanischen Zeit denken und wurde von Wehmut erfaßt. Wie gut, daß wir damals nicht ahnen konnten, was uns noch alles bevorstand, daß sich unser Leben keineswegs so gestalten würde, wie wir es uns erträumt hatten und wie wir es wahrhaben wollten. Alles ist anders, heißt es weiß Gott zu Recht in dem Prager jüdischen Witz.
Walter Janka ist bald nach seiner Rückkehr nach Berlinabermals schwer erkrankt und einige Wochen später gestorben. Gäbe es einen Himmel, könnte er jetzt unseren Freunden erzählen, daß es ihm noch vergönnt war, die mexikanischen
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