Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Pyramiden wiederzusehen, daß ihm und seiner Lotte eine Mariachi-Kapelle aufgespielt hat, daß er so kurz vor dem Ende für ein paar Tage noch in seine jungen Jahre zurückkehren konnte.
Es war eine frühe Abendstunde, als ich durch das Gewimmel von Menschen, Fahrzeugen, Straßenverkäufern, bettelnden Kindern und protzigen, viel zu großen Limousinen zum Zócalo, dem geräumigen rechteckigen Hauptplatz der Stadt, schlenderte. Hier war es mit einem Mal verhältnismäßig still. Ich schritt langsam auf das imposante Regierungsgebäude an der Südseite zu, dessen Aufgang und Treppenhaus die großartigen Wandmalereien Diego Riveras schmücken. Die kannte ich so gut, daß ich sie nun geradezu zu sehen vermeinte. Zu meiner Linken wußte ich die Kathedrale mit der bizarren Pracht ihrer überschwenglichen Verzierungen. Rings um mich war Stille, nur von weitem konnte man das Rauschen des Verkehrs vernehmen. Die wenigen Menschen, die in dieser abendlichen Stunde den Platz überquerten, verhielten sich ruhig, als wären sie in einer Art ehrfürchtiger Scheu befangen. Hier war der Schauplatz ihrer Geschichte, hierher strömten sie, um gemeinsam zu feiern oder auch zu trauern. Hier wußten sie sich eins mit den Großen ihrer bewegten Vergangenheit. Das Pflaster des Zócalo wurde wiederholt von den Tränen ohnmächtigen Schmerzes getränkt, im Gestein des Palastes und der Kathedrale war aber auch der Widerhall siegesbewußten Jubels eingefangen. Ein Stückchen hinter mir tanzten ein nur mit einem Lendenschurz bekleideter Indianer und eine Frau im groben Leinenhemd. IhreBegleitmusik war der monotone und eindringliche Klang von zwei Trommeln, den ein zweiter Indianer mit flachen, rhythmischen Handschlägen hervorzauberte.
Der Himmel über dem Palacio und dem Tempel des katholischen Gottes nahm allmählich Nachtschwärze an. Eine merkwürdige Ruhe bemächtigte sich meiner, ein Gefühl, nirgends und überall zu sein, losgelöst vom Alltag und eingebettet in Zeitlosigkeit. Auf diesem Platz mit den dunklen Umrissen der unverändert vertrauten Gebäude, die ungeachtet der Menschen, die dort aus und ein gingen, all die Jahre die gleichen geblieben waren, empfand ich beim Klang der eintönigen Trommelschläge für einen kostbaren Augenblick, mit all jenen Menschen verbunden zu sein, die einst hier mit mir gelebt haben. Als ob ich wieder ganz jung geworden wäre, durchströmte mich wie damals der Wille, meinen Tagen einen guten Sinn zu geben (Ach, alles, alles ist anders!), sogar noch irgend etwas neu zu beginnen, und sei es auch nur ein Körnchen menschlicher Weisheit weiterzutragen. Das wollte ich auch im Andenken an meine Freunde aus unserer mexikanischen Zeit tun, die in jener Stunde beinahe neu verkörpert mit mir auf dem Zócalo zu stehen schienen.
Als ich im Jahre 1945, wenige Wochen nach dem Ende des Krieges nach Europa zurückkehrte, war nicht meine Heimatstadt Prag mein Ziel, sondern Jugoslawien, die Heimat meines Mannes, genauer seine Hauptstadt, das zerbombte Belgrad. Unsere Reise in der unmittelbaren Nachkriegszeit verlief weder schnell noch glatt, noch so wie vorgesehen. Die Perast, das kleine dalmatinische Lastschiff, auf dem Balk als Schiffsarzt und ich als Hilfsköchin eingetragen waren (denn es durfte keine Passagiere an Bord haben), widerstand unterwegs tapfereinem rasenden Unwetter, bahnte sich entlang der spanischen und später auch der italienischen Küste unbeirrt seinen Weg durch die mit bloßem Auge wahrnehmbaren, immer noch in Mengen durch die Fluten gleitenden Minen. Als wir endlich nicht wie geplant in Split sondern in Šibenik ankamen, gab es tagelang keine Bahnverbindung ins Innere des Landes. Es dauerte beinahe eine ganze Woche, ehe wir in Belgrad eintrafen, und selbst das stimmt nicht ganz, denn in die Hauptstadt konnte man damals nur mit einem von Pferden gezogenen Fuhrwerk über eine provisorische Pontonbrücke gelangen, die den Sava-Fluß mit dem anderen Ufer verband. Die Wiederherstellung des Bahnanschlusses stand noch in den Sternen.
Wir hatten keine Ahnung, wo wir wohnen würden, auch nicht wo sich unser Gepäck befand, zwei Kisten vollgestopft mit Büchern, Manuskripten, mexikanischen Sarape-Decken, mit meinem keramischen Glücksschweinchen, etlichen Idolos und Votivbildchen und einer Menge kleiner, uns liebgewordener Souvenirs. Viele hatten wir von unseren Freunden zum Abschied mitbekommen. Unsere Abreise war ein Ereignis gewesen, denn wir waren die ersten antifaschistischen Flüchtlinge aus
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