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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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Erwin Kisch, dem Tschechoslowaken mit dem französischen Namen André Simone und mir, der es natürlich zufiel unseren Gesandten für dieses Vorhaben zu gewinnen. Das gelang sehr schnell, der Plan fand sofort seinen Gefallen. »Aber«, sagte er bekümmert, »Sie wissen doch, daß wir kein Geld für so eine Redaktion haben.«
    »Für die Druckerei könnten Sie etwas loseisen?«
    Das ginge, meine er, und das genügte auch. Von Honorar war in der »Redaktion« unseres Blättchens niemals die Rede. In der Druckerei fühlte ich mich unter den mexikanischen Setzern und Metteuren bald zu Hause, sie waren auch hilfsbereit und amüsierten sich gutmütig über meine sprachlichen Schnitzer.
    Als dann die Nachricht über die Vernichtung des böhmischen Bergarbeiterdorfes Lidice kam, wo die deutschen Besatzer alle Männer erschossen, die Frauen in Konzentrationslager transportiert und die Kinder, unbekannt wohin, verschleppt hatten, ließen mich die Andeutungen und Anspielungen auf Zerwürfnisse und Feindseligkeiten innerhalb und außerhalb der Gruppe erst recht völlig kalt. Ich bemühte mich auch gar nicht in das unüberschaubare Gewirr einzudringen und war glücklich, daß auch die Aufmerksamkeit meines Mannes in ersten Linie von der Beschaffung von Medikamenten und anderem medizinischen Material für den Partisanenkampf in seinem heimatlichen Jugoslawien in Anspruch genommen wurde.
    »Möchte die Lenka etwas dazu sagen?« wurde ich beimSymposium im Jahre 1993 wiederholt in verschiedenem Zusammenhang gefragt. Und ich mochte schon, sofern es sich um Menschen und Begebenheiten handelte, von denen ich etwas wußte, wo ich »dabei« war. Auf Vermutungen und nachträgliche Konstruktionen ließ ich mich nicht ein. Mitunter war ich allerdings überrascht und betroffen, daß so manches anders war, als ich bis dahin gewußt hatte.
    Gilberto Bosques bin ich bei meinem zweiten Besuch in Mexiko noch einmal, freilich wiederum indirekt, begegnet. Eines Abends wurden wir in einen Autocar verstaut und zum einstigen Wohnsitz von Leo Trotzki gefahren. Für mich stellte das eine außerordentlich interessante Expedition dar. Als ich Ende 1941 in Mexiko angekommen war, lebte Trotzki nicht mehr. Ein paar Wochen nach meiner Ankunft begann ich in unserer Exilbotschaft zu arbeiten; dort war, neben dem Botschaftskanzler, mein einziger Kollege ein junger Mann aus der mährischen Metropole Brünn, der irgendwann vor dem Krieg eigens nach Mexiko gereist war, um hier einer der Sekretäre des russischen Exulanten zu werden. Er schien, was mich überraschte, ein völlig passiver träger Mensch zu sein, dessen Vorliebe darin bestand, aus den mexikanischen Zeitungen die sehr zahlreichen und sehr bluttriefenden Mordberichte auszuschneiden und in einem Schubfach seines Schreibtisches aufzubewahren. Ich erwog, ob dieses sonderbare Hobby nicht etwa mit seinen erschreckenden Erfahrungen im Trotzki-Haus zusammenhängen könnte. Über dieses Abenteuer verlor er jedoch kein Wort, auch zum Leidwesen unseres Gesandten, der gern etwas mehr darüber erfahren hätte. Nach Kriegsende heiratete mein mährischer Kollege eine Mexikanerin aus wohlhabendemHaus, wurde Unternehmer und soll recht reich geworden sein.
    Diese Schreibtischsymbiose mit einem Trotzkisten, sei es auch in den aus den Fugen geratenen Kriegsjahren und auf dem Boden der diplomatischen Vertretung unserer, von der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei gleichfalls anerkannten Exilregierung, sollte mich neben zahlreichen anderen Unsinnigkeiten in der politischen Hetzjagd der fünfziger Jahre teuer zu stehen kommen.
    Es war schon beinahe ganz dunkel, als unser Autocar sein Ziel erreichte und wir zum Aussteigen aufgefordert wurden. Ich kletterte aus dem Wagen und stand vor einer massiven, ziemlich hohen ockergelben Steinwand. Eine Festung, war mein erster Eindruck. Erstaunlicherweise beherbergt sie nun zum Teil eine Sammlung moderner mexikanischer Graphik. Aber nicht deshalb hatte man uns hierher gebracht. Wir waren gekommen, um der Enthüllung einer Büste Gilberto Bosques beizuwohnen. Warum gerade hier, in Trotzkis einstigem Wohnhaus, habe ich nicht erfahren.
    Schon im Vorraum kam die schöne Tochter des einstigen Generalkonsuls auf mich zu, stellte mich einer eleganten schwarz gekleideten älteren Dame vor, deren Name mir während der durchaus nicht förmlichen, sondern der hierzulande üblichen herzlichen Begrüßung entglitt. Jemand flüsterte mir etwas später zu, das sei doch die Witwe des

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