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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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Konferenz ihre eigentliche Arbeit in einem ebenerdigen, mit verschiebbaren Glaswänden versehenen Pavillon der Universität am Rande der Stadt, in einem großen gepflegten Garten. An verschiedenen Stellen lugte dort unter alten Bäumen das poröse schwarze Vulkangestein vom Lavafeld Pedregal hervor.
    Der Pedregal war in meinem Gedächtnis eine Art steinige Steppe, deren rauhe Fremdartigkeit mir unvergeßlich geblieben ist. Einmal war dort meinem Mann und mir bei einem unserer Streifzüge durch das geheimnisvolle Geröll ein offenbar herrenloses kleines Maultier gefolgt, ließ sich nicht davonjagen, stieß mich mit seinem warmen feuchten Maul sacht in die Seite, ließ sich streicheln, mit einer Banane füttern, wollte allem Anschein nach bei uns bleiben. Einen halben Tag lang trottetedas junge Tier hinter uns her, blieb stehen, wenn wir standen, ging dann wieder mit uns weiter. Ich mußte ein paar Tränen schlucken, als wir am Rande des Jardino de Pedregal an ihm Verrat übten und es zurückließen.
    Und nun schlenderte ich zwischen diesem vulkanischen Gestein in einem Universitätsgarten. Weiß Gott, sehr vieles ist jetzt anders.
    Die Teilnehmerrunde in dem Glaspavillon setzte sich aus zumeist jüngeren Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern Europas und des amerikanischen Kontinents zusammen. Sie waren mit gründlich ausgearbeiteten Referaten zur Problematik der deutschen Exilkultur in Mexiko und ihrer einzelnen Träger angereist. Vor mir lag keine Mappe mit Dokumenten, auch kein Manuskript. Ich hatte nur eine Fülle von Erlebnissen, meinen Vorrat an Erfahrungen mitgebracht, die in der anregenden Atmosphäre der unförmlichen, deutsch oder spanisch vorgetragenen und in diesen Sprachen auch diskutierten, reich dokumentierten Beiträge hellwach wurden und erneut Farbe annahmen. Ich war hier – wie schon gesagt – ein rar gewordener Zeitzeuge, erklärte, diesen Umstand der Tatsache zu verdanken, daß ich beträchtlich jünger war als die meisten meiner Exilgefährten, genau betrachtet wohl die jüngste »Erwachsene« der großen Emigrantengruppe, der ich angehörte. Nach mir kamen dann schon die »Kinder«, von denen eins, der Friedl Katz, sich nunmehr als Professor Friedrich Katz von der Universität Chicago ebenfalls an der Konferenz beteiligte.
    Die Menschen, mit denen ich damals in persönlicher Berührung gestanden hatte, oft freundschaftlich verbunden, sind für die Historiker in der Zwischenzeit zu einem wissenschaftlichen Forschungsobjekt geworden. Ich aber wollte nichts anderes, als diesen »Objekten« einenHauch menschlichen Verständnisses zu verleihen, den Vermerken in Enzyklopädien und Ergebnissen von Studien, totem Archivmaterial, die lebendigen Menschen gegenüberstellen. Natürlich habe ich in dieser gelehrten Runde Neues erfahren, in mancher Hinsicht einen anderen Einblick in die damaligen Verhältnisse und Beziehungen unter den Menschen gewonnen. Daß es innerhalb der vielschichtigen Kolonie deutscher Emigranten in Mexiko allerhand mehr oder weniger dramatische Meinungsverschiedenheiten, Reibungen und Antagonismen gab, wußte ich. Verschiedenes hatte sich noch vor meiner Ankunft aus Marokko abgespielt, eitel Eintracht und Übereinstimmung herrschten freichlich auch später keineswegs. Im Laufe der Konferenz ergab sich für mich die Frage, wieso ich von diesen unerfreulichen, vom heutigen Gesichtspunkt aus kaum faßbaren Gehässigkeiten und Feindseligkeiten unter den politischen Antifaschisten aus Deutschland (Menschen, Menschen sind im Walde!), die doch über alle parteiwidrigen oder parteigläubigen Einstellungen hinweg ein gemeinsames Ziel hatten, quasi nur am Rande etwas mitbekommen habe. Wahrscheinlich verdanke ich meine gewisse Arglosigkeit dem Zusammenspiel einiger Umstände: Ich war jung, man nahm mich nicht allzu ernst, meine Stellungnahme hatte kein Gewicht, und so wurde ich in die verschiedenen dramatischen Verwicklungen gar nicht erst eingeweiht. Überdies, und das gab wohl den Ausschlag: Wiewohl integriert in die Gruppe der deutschen Kommunisten, war und blieb ich »die Tschechin«. Auf diese Nuance legte ich selbst Wert und war heilfroh, daß ich mit dem gehässigen, mir unklaren und sinnlos erscheinenden Kleinkrieg von beiden Seiten nichts gemein hatte.
    Mein Kopf war voll von anders gearteten Sorgen. Einmal im Monat redigierte ich eine bescheidene kleine Zeitung mit dem Titel »El Checoslovaco en México«. Aufgekommen war diese Idee am Kaffeetisch im Hause Kisch zwischen Egon

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