Das Traumschloss
üblichen zehn Minuten nun zwanzig gedauert, sodass sie ihn nur schnell einer Erzieherin hatte übergeben können. Da sein Schluchzen sie noch während der ganzen Zugfahrt verfolgt hatte, war sie nicht in der Stimmung für Guys sarkastische Witze.
„Weißt du, warum Mr Gambrill mich sprechen möchte?“
Guy zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Schade nur, dass du heute zu spät kommst. Das wird deine Chancen auf die Beförderung nicht gerade verbessern.“
„Ich habe es mir ja nicht ausgesucht“, fuhr sie ihn an. Alistair Gambrill war Seniorpartner und leitete ihre Abteilung. Er stellte hohe Ansprüche an seine Mitarbeiter und hasste Unpünktlichkeit.
Nachdem sie ihren Mantel und ihre Handtasche auf ihren Schreibtisch geworfen hatte, eilte sie zu seinen Büroräumen und fragte sich, was er von ihr wollte. Seine Assistentin telefonierte gerade, und Lauren nutzte die Gelegenheit, um einen prüfenden Blick in den Spiegel an der Wand hinter deren Schreibtisch zu werfen.
Ihr rotes Kostüm, das sie mit einer weißen Bluse kombiniert hatte, war sehr stylisch und ein Hingucker an diesem grauen Februartag. Doch Guy hatte recht. Die dunklen Ringe unter ihren Augen, die sie selbst mit Make-up nicht hatte kaschieren können, deuteten auf viele schlaflose Nächte hin.
Das Los einer alleinerziehenden Mutter, ging es ihr durch den Kopf. Dennoch hätte sie mit niemandem tauschen mögen. Obwohl ihr Sohn ungeplant gewesen war, liebte sie ihn über alles. Allein beim Gedanken an sein süßes Gesicht mit den braunen Augen und seinen dunklen Schopf ging ihr das Herz über.
Die Assistentin beendete das Gespräch und lächelte sie flüchtig an. „Sie können gleich reingehen. Mr Gambrill erwartet Sie schon.“
Als Lauren die Tür öffnete, ließ sie schnell alle Aufträge, die sie in jüngster Zeit fertiggestellt hatte und an denen sie gerade arbeitete, Revue passieren. Hatte sie womöglich einen Fehler gemacht, oder hatte ein Mandant sich beschwert? Der Erwerb eines neuen Gebäudekomplexes für eine bekannte Bank dauerte länger als erwartet, nachdem Probleme bei der Ausarbeitung des Kaufvertrags aufgetreten waren.
„Ah, da sind Sie ja, Lauren.“
Zu ihrer Überraschung wirkte Alistair Gambrill erfreut, doch sie nahm ihn kaum wahr, weil ihre Aufmerksamkeit dem anderen Mann galt, der gerade aufgestanden war und sie überheblich musterte.
Wie erstarrt blieb sie stehen und spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Das kann nicht sein, dachte sie benommen. Das konnte unmöglich Ramon sein, der gerade auf sie zukam.
„Lauren, ich möchte Ihnen unseren neuen Mandanten Ramon Velasquez vorstellen“, sagte Alistair, der nicht merkte, wie schockiert sie war. „Ramon, das ist eine unserer besten Anwältinnen, Lauren Maitland.“
Dass sie zu den besten Anwältinnen der Kanzlei gehörte, war ihr neu, doch ihr Chef lächelte sie an, als wäre sie seine Lieblingsnichte. Offenbar wusste er, wie er Ramon beeindrucken konnte, und sie spürte, wie er ungeduldig auf eine Äußerung von ihr wartete.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sollte sie ihm erzählen, dass sie den Mandanten schon kannte? Fast hätte sie hysterisch gelacht. ‚Kannte‘ war untertrieben. Aber was hätte sie sonst sagen sollen? Dass Ramon und sie einmal eine Affäre gehabt hatten?
Schließlich fand sie die Sprache wieder. „Mr Velasquez.“
„Lassen wir die Förmlichkeiten. Nennen Sie mich bitte Ramon.“
Seine Stimme war noch genauso, wie Lauren sie erinnerte – tief, melodisch und ein wenig rau, was ungemein sexy war. Sie blickte ihn an.
Matty hat seine Augen geerbt, dachte sie. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war fast unheimlich. Als die Hebamme ihr den Kleinen nach der Geburt in die Arme gelegt hatte, hatte sie Ramon sofort in ihm wiedererkannt. In ihre Glücksgefühle hatte sich eine bittere Wehmut gemischt, weil er nicht an ihrer Seite war. Sie hätte nie damit gerechnet, ihn jemals wiederzusehen, und nun stand er vor ihr, und sie wurde von den widersprüchlichsten Empfindungen überwältigt.
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Lauren.“
Die Art, wie er ihren Namen aussprach, ließ sie erschauern. Lauren spürte, wie sie errötete und, was noch schlimmer war, wie sich ihre Brustknospen aufrichteten.
Angespannt fragte sie sich, was ihn hierher führte. Hatte er womöglich von Mateo erfahren? Verzweifelt blickte sie zu Alistair. Bei PGH wussten alle von ihrem Sohn. Hatte ihr Chef ihr Geheimnis unwissentlich preisgegeben, indem er Ramon
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