Das Treffen
Meredith-Hardin-Show.
Die Frau trat auf das Podium, und noch bevor sie den Mund öffnete, war der ganze Haufen lärmender Studienanfängerinnen mit einem Mal verstummt. Die für sie zuständige Dekanin war eine Furie mit grausamen Gesichtszügen und eiskalten, Unheil versprechenden Augen. Eigentlich war sie weder alt noch hässlich. Mit ihrem grauen Hosenanzug war sie angezogen wie ein Mann. Die Lippen in ihrem blassen Gesicht passten zur Farbe der Kleidung. Ihr rotes Haar war zu einem strengen Dutt zusammengezogen. Soweit Abilene sehen konnte, trug sie nicht ein einziges Schmuckstück.
Zu Abilenes Überraschung redete sie ohne abgehackten deutschen Akzent.
Sie konnte sich noch immer an Teile dieser »Willkommensansprache« erinnern: »Als Studentinnen der Belmore University werdet ihr euch zu jeder Zeit wie junge Damen betragen … Liederliches Benehmen wird nicht geduldet … Ihr werdet immer die gebührende Mäßigung an den Tag legen … Auf dieser Universität gibt es keine Gossensprache …
Der Konsum alkoholischer Getränke auf dem Campus ist strengstens untersagt … Jeder Verstoß gegen die guten Sitten wird sofort und unnachgiebig geahndet. Ich bin streng, aber gerecht, was ihr ohne Zweifel bald zu schätzen lernen werdet.«
Es hätte lustig sein können. War es aber nicht.
Als direkte Konsequenz von Hardins Ansprache verließen vier Neuankömmlinge – unter ihnen auch Abilenes ursprüngliche Zimmergenossin – sofort die Universität. »Auf diesem Campus ist nicht genug Platz für mich und diese vertrocknete alte Fotze«, flüsterte ihre Mitbewohnerin ihr zu, während sie ihre Sachen packte.
»Hey!«, sagte Abilene. »Keine Gossensprache.«
Das Mädchen lachte. »Wahrscheinlich ist sie eine Lesbe.«
»Sag so was nicht. Damit beleidigst du die Ehre jeder gleichgeschlechtlich orientierten Frau.«
»Irgendwann wird sie dich auch drankriegen.«
»Nicht, wenn ich sie zuerst erwische.«
»Na, dann viel Glück dabei.«
In den darauffolgenden Monaten hatte Hardin ihrem Ruf alle Ehre gemacht. Sie hatte Vivian mit engem Top und Minirock auf dem Weg zum Unterricht erwischt. »Wo wollen wir denn hin, junges Fräulein«, hatte sie sie angefahren und ihr einen vernichtenden Blick zugeworfen. »Ich werde es Ihnen sagen – zurück auf Ihr Zimmer, wo Sie dieses Hurenkostüm ablegen und sich angemessen bekleiden werden.« Einmal hatte sie Helen beim Kaugummikauen erwischt. »Sofort herunterschlucken, junges Fräulein. Oder sind Sie ein wiederkäuendes Huftier?« Und einmal hatte sie sich über Abilenes ärmellosen Pullover und ihre abgeschnittenen Jeans mokiert. »Dies hier ist eine Universität und kein Ghetto!« Abilene hatte ihr freundlich zu erklären versucht, dass sie auf dem Weg zum Basketballtraining war. »Habe ich nach einer Entschuldigung verlangt? Nein, das bezweifle ich. Es gibt nämlich keine Entschuldigung für Ihre schludrige Aufmachung – keine Widerrede! Haben Sie mich verstanden?«
Die Frau war einfach nur lächerlich. Sie schien es zu genießen, die Mädchen in ein Häuflein Elend zu verwandeln.
Was ihr bei Vivian und Abilene nicht gelungen war – Helen jedoch hatte darüber, dass sie mit einer Kuh verglichen worden war, bittere Tränen vergossen.
Und gestern hatte Barbara Dixon ihretwegen einen hysterischen, von tiefen Schluchzern begleiteten Heulkrampf gehabt.
Finley hatte das arme Ding in ihrem gemeinsamen Zimmer vorgefunden und beinahe selbst angefangen zu heulen, als sie den anderen von dem Vorfall berichtet hatte.
Barbara hatte allein an einem Tisch in der Cafeteria gesessen und sich gerade einen Schluck Rum in ihre Pepsi geschüttet, als Hardin den Raum betrat und sie erwischte. Sie riss ihr das Glas aus der Hand und schnupperte daran. »Mitkommen!«, hatte sie befohlen.
In ihrem Büro hatte sie Barbara eine geschlagene Stunde lang zur Schnecke gemacht. Eine »degenerierte Säuferin« sei sie, eine »soziale Außenseiterin«, »ein Schandfleck der Belmore University« und »eine dreckige, dem Schnaps verfallene Schlampe«. Und so weiter. Und es kam noch schlimmer. Sie hatte Barbaras Mutter zu Hause angerufen. Sie hatte Barbaras Vater in der Arbeit kontaktiert. In einem gewaltigen Wortschwall hatte sie ihnen dargelegt, dass sie ihre Tochter nur unter größten Vorbehalten überhaupt auf der Universität behielte. Das Ganze hatte damit geendet, dass sie Barbara das Glas über den Kopf geschüttet hatte.
Nach Finleys Bericht hatten sich die Mädchen spontan dazu entschlossen,
Weitere Kostenlose Bücher