Das Treffen
nicht campen.«
»Stimmt. Stattdessen fahren wir zu einer verdammten Ferienanlage, die seit Ewigkeiten verlassen ist. Sie ist doch verlassen, oder?«
»Denke schon«, sagte Helen. »Soweit ich weiß, ist sie seit zwölf Jahren geschlossen.«
»Na toll. Wunderbar. Ein richtiges Abenteuer.«
»Genau das ist der Plan«, sagte Helen.
»Wie ich dich so kenne, spukt es dort.«
»Das werden wir ja herausfinden.«
Die Straße wurde flacher. Über den Rand der Motorhaube, eingerahmt von Abilenes rosa Strümpfen, konnten sie in der Ferne die Totem Pole Lodge ausmachen. Abilene beugte sich vor. Vivian ebenfalls. Ihre Schultern berührten sich.
»Ganz reizend«, murmelte Vivian.
»Toll, oder?« Es klang, als wären Helens Erwartungen weit übertroffen worden.
»Wo sind wir hier?«
»In einer Art Ferienanlage.«
»Sieht mir eher nach Ruine aus«, sagte Vivian.
»Die Thermalquellen hier waren mal ziemlich berühmt. Und die Küche war auch ganz gut. Im Winter konnte man Langlaufen. Die Leute strömten hierher, um zu jagen, zu wandern und angeln zu gehen. Solche Sachen eben. Die Hütte hier war mal ziemlich angesagt.«
»Tja, die Zeiten sind wohl vorbei. Sieht ja fürchterlich aus.«
Eine Faust erschien zwischen Finleys Beinen und klopfte gegen die Windschutzscheibe. »Halt mal an, ja?«
»Mir reicht's«, sagte Abilene, stieß die Tür auf und stieg aus. Nach der langen Fahrt tat es gut, sich auszustrecken. Sie zupfte an der nass geschwitzten Bluse, die an ihrem Rücken klebte. Dann holte sie tief Luft und genoss den Duft des Waldes.
Ohne dieses Haus wäre das hier ein wirklich schönes Plätzchen, dachte sie.
Vielleicht etwas heiß, aber …
Finley sprang vom Dach und landete neben ihr. »Krasse Hütte«, sagte sie.
»›Gleich beim ersten Anblick der Mauern breitete sich, eine unerträgliche Düsterkeit über meine Seele.‹«
»Was ist?«
Die anderen stiegen ebenfalls aus. Schweigend betrachteten sie die Lodge.
Es war ein großes, zweistöckiges Gebäude. Die dunkelgrauen Mauern wirkten so massiv, als könnten sie noch Jahrtausende überdauern. Das Holzdach dagegen war in der Mitte abgesackt und würde wahrscheinlich kaum den nächsten Winter überstehen.
Ein Teil des Vordachs war bereits eingestürzt. Ein großer Ast, der dem abgetrennten Arm eines Riesen ähnelte, war daraufgefallen. Sein faseriger Stumpf ragte aus dem Dach, und die vielen Zweige blockierten zur Hälfte die Eingangstür.
Einige der Fenster im ersten Stock waren von Jalousien verdeckt. Ein Großteil der Rollos jedoch hing verbogen herunter oder war ganz abgefallen. Soweit Abilene sehen konnte, waren mindestens die Hälfte der Fensterscheiben zerbrochen.
Die Eingangstür befand sich in der Mitte der Veranda. Sie stand sperrangelweit offen.
»Anscheinend werden wir erwartet«, sagte Abilene.
»Los, Hickok, gehen wir mal voran. Ihr anderen wartet hier, bis wir euch gebührend empfangen können.« Finley ging auf das Haus zu.
Abilene begleitete sie. Zweige knackten unter ihren Füßen.
Obwohl der Pfad mit Ästen und Laub aus dem Wald bedeckt war, hatte der Wind einige Stellen frei geräumt, an denen altes, rissiges Pflaster zum Vorschein kam. In den Ritzen zwischen den Steinen wuchsen Unkraut, wildes Gras und sogar einige Baumschösslinge.
Einer dieser jungen Bäume war umgeknickt. Abilene blieb davor stehen.
»Schau mal.«
»Ja, und?«
Sie beugte sich über die Pflanze. »Irgendjemand war hier. Und zwar erst vor Kurzem. Die Blätter sind noch grün.« Mit Daumen und Zeigefinger riss sie einen dünnen Zweig ab. Er war noch einigermaßen elastisch, zerbrach aber doch in ihrer Hand. »Es kann nicht länger als eine Woche her sein.«
»Vielleicht ist Bambi draufgetreten.«
»Vielleicht ist die Hütte doch nicht so verlassen, wie sie aussieht.«
Finley rümpfte die Nase. Dann nickte sie. »Los, weiter.«
Vor der Veranda teilte sich der Pfad. Zur Rechten führte er an dem Haus vorbei zu einer baufälligen Konstruktion, unter der wohl einmal die Gäste ihre Autos geparkt hatten. Auf der linken Seite führte der Weg zur Rückseite der Hütte.
»Jetzt sind wir nahe genug«, sagte Finley. Sie blieb vor den Verandastufen stehen, drehte sich um und hob die Kamera. »Action!«, rief sie.
Abilene beobachtete einen Augenblick lang den sich nähernden Jeep. Dann stellten sich ihr die Nackenhaare auf. Sie wandte sich um und starrte auf die geöffnete Tür.
Dahinter war nichts als schattiges Zwielicht zu erkennen.
Wir sind wohl nicht ganz
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