Das Treffen
Mädchen sahen sich um und lauschten konzentriert.
Außer ihrem klopfenden Herzschlag hörte Abilene nur die Geräusche, die von draußen hereindrangen: das Singen der Vögel und das Rascheln der Zweige in der sanften Brise.
Es war hell genug, um die Treppe zu ihrer Linken erkennen zu können, hinter der sich ein weiterer Raum öffnete. Zu ihrer Rechten befanden sich die Lobby und der L-förmige Empfangsschalter mit einer ganzen Reihe von Fächern dahinter. Sonst war der Raum völlig leer.
Sie nahm an, dass die dunklen Holzvertäfelungen der Wand einmal mit ausgestopften Hirschköpfen, Fischen und Gemälden von rustikalen Jagdszenen verziert gewesen waren. Auf den schweren Holzbalken hatten sich bestimmt präparierte Waschbären und ähnlicher Kram befunden. Vielleicht hatte es sogar bequeme Stühle, Couchtische und ein Fell vor dem steinernen Kamin gegeben. Vor der Feuerstelle befand sich noch immer ein Kaminbock, ein Funkenschutz und mehrere gusseiserne Schürhaken und anderes Gerät.
Es überraschte sie, dass die Sachen nicht längst von Plünderern mitgenommen und als Antiquitäten verscherbelt worden waren.
Was sie wohl noch zurückgelassen hatten?
Na, wir haben ja genug Zeit, um es herauszufinden, dachte sie.
Wenn sie hier wirklich vier Tage verbrächten, würden sie diese Hütte danach wie ihre Westentasche kennen.
»Ist doch ganz nett«, durchbrach Cora das Schweigen. Sie ging über den Holzboden zur Rezeption hinüber. »Ich hatte es mir übler vorgestellt. Von außen sieht es ja aus wie eine komplette Ruine.«
»Ja, hätte schlimmer kommen können«, gab Vivian zu. »Trotzdem ziemlich unheimlich.«
»Das soll es auch sein«, gab Helen zu bedenken.
»Ich weiß, ich weiß.«
Cora beugte sich über den Empfangsschalter. Sie musste ein Bein heben, um dahinterspähen zu können. Sie richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf.
»Nichts.«
»Umso besser«, sagte Vivian.
Während Cora den Tisch umrundete, betrachtete sie die Vorderseite ihres weißen T-Shirts und wischte darüber. Dann sah sie die anderen mit ernster Miene an. Sie zog an dem Shirt und warf einen Blick auf den gespannten Stoff.
Auf Abilene wirkte das Shirt nicht besonders dreckig – höchstens etwas staubig. Eigentlich nichts, worüber man … »Oh-oh«, murmelte sie.
»Hey, Viv«, sagte Cora. »Du musst dir keine Sorgen machen, dass du dir deine Klamotten einsauen könntest. Keine großen jedenfalls.« Sie wischte noch ein paarmal über das T-Shirt, bis der Staub völlig verschwunden war. »Der Tisch müsste doch eigentlich völlig verdreckt sein.«
»Vielleicht war der Zimmerservice hier«, sagte Finley.
»Irgendjemand war mit Sicherheit hier«, entgegnete Abilene. »Meiner reichhaltigen Erfahrung auf dem Gebiet des Hausputzes nach zu urteilen, würde ich sagen, dass das der Staub von höchstens einer Woche ist.«
»Obwohl die Lodge seit zwölf Jahren geschlossen ist«, sagte Helen und verzog einen Mundwinkel.
»So viel Dreck wäre ich bestimmt nicht so nahe gekommen.«
Abilene betrachtete den Fußboden. Vor der Tür und unter den Fenstern lag etwas Laub. Aber nicht viel. Unter den zerbrochenen Fensterscheiben waren keine Glassplitter zu erkennen. »Der Boden ist ebenfalls ziemlich sauber.«
Vivian nickte. »Anscheinend ist das Haus doch nicht so verlassen, wie wir dachten.«
»Die sieben Zwerge sind wohl gerade unterwegs«, sagte Finley.
Nebeneinander durchquerten die fünf den Raum, wobei sie sich an den Stützbalken vorbeischlängeln mussten. Als sich Abilene dem Kamin näherte, bemerkte sie, dass er abgesehen von dem Ruß an den Steinen sehr sauber war. Asche oder verbranntes Holz waren nirgendwo zu sehen.
Einige Meter hinter der Rezeption machte der Raum eine Biegung nach links.
»Da geht's wohl zum Speisesaal«, sagte Cora, als sie den Tisch umrundet hatte.
»Hier ist es also passiert«, sagte Helen.
»Hier ist was passiert?«, fragte Vivian.
Helen grinste und hob die Augenbrauen. »Später. Wenn es dunkel wird, erzähle ich euch allen eine Gutenachtgeschichte.«
»Vielleicht sind wir dann aber gar nicht mehr hier«, sagte Vivian.
»Solange wir niemandem begegnen«, sagte Cora, »können wir doch bleiben.«
»Irgendjemand war aber hier«, erinnerte sie Abilene.
»Das muss ja nicht heißen, dass dieser jemand auftaucht, solange wir hier sind. Im Übrigen ist er wahrscheinlich völlig harmlos.«
»Immerhin sind wir hier eingebrochen.«
»Wir sehen uns doch nur mal um. Die Tür war offen, also haben
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