Das Treffen
Baumstamm herum.
Zuerst konnte Abilene nur weitere Bäume, Felsen und Büsche in der Dunkelheit erkennen. Dann bemerkte sie eine Art Plattform, die von einem zersplitterten Holzgeländer umgeben war. Darauf stand ein einsamer Schaukelstuhl. Holzstufen führten zum unebenen Boden hinunter. Eine Veranda? Genau das war es. Und bald schon konnte Abilene auch das dazugehörige Blockhaus sehen, das dahinter im Schatten lag.
Das grobe Holz der Hütte sah den umgebenden Baumstämmen zum Verwechseln ähnlich. Das Dach – sofern die Hütte eines besaß – war unter einem Baldachin aus Ästen und Laub verborgen. Die Blockhütte wirkte fast wie ein natürlicher Teil des Waldes. Als wäre sie nicht von Menschen erbaut worden. Als wäre sie einfach gewachsen.
»Niemand hier«, flüsterte Cora. »Sehen wir uns mal um.«
Entgegen Abilenes Befürchtungen ging sie nicht direkt zur Hütte, sondern duckte sich und rannte mit gesenktem Kopf zum nächsten Baum. Die anderen folgten ihr.
Von hier aus konnte Abilene ein paar alte Schuppen hinter der Hütte ausmachen. Sie waren von einem üppigen, sonnenbeschienenen Garten umgeben. Vor der Hütte, neben der Veranda, stand eine Wasserpumpe mit langem Hebel. Von dort aus führte eine sanft abfallende Rasenfläche etwa zwanzig Meter bis zum See hinunter. Ein wettergegerbtes Ruderboot lag dort unter den hängenden Zweigen einer Weide. Es war mit einem Zementblock verankert, und die Paddel lagen quer über Bug und Sitzbank.
»Was haltet ihr davon?«, flüsterte Abilene.
»Sieht aus, als würde hier jemand wohnen«, sagte Vivian.
»Das ist wie in einem dieser verdammten Splatterfilme, von denen Helen so begeistert ist«, sagte Finley. »Das ist die Hütte, wo der Irre mit der Machete haust.«
»Hoffentlich ist sie da drin und weiß es auch zu schätzen«, sagte Cora.
»Finden wir's raus«, sagte Finley. Sie stellte Wasserflasche und Chips ab, sah sich einen Augenblick lang auf dem Boden um und hob dann einen Stein in der Größe eines Baseballs auf.
Abilene stellten sich die Nackenhaare auf.
Cora hatte schon den ganzen Morgen das Montiereisen mit sich herumgeschleppt, was Abilene als eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme erschienen war. Jetzt hatte sich auch Finley bewaffnet.
Mit einem Mal bemerkte sie, dass sie nicht mehr nur auf der Suche nach Helen waren.
Grundgütiger.
Helen konnte wirklich da drin sein. Sie waren vielleicht kurz davor, sie zu finden. Und denjenigen, der sie verschleppt hatte. Bald mussten sie möglicherweise um Helens Leben kämpfen – und um ihr eigenes.
Zitternd sah sie sich um. Neben dem Baumstamm entdeckte sie einen Stein, der halb von feuchtem Laub bedeckt war, und griff danach. Der Granitbrocken war so groß wie ihre Hand. Seine Form ähnelte grob einer Axtklinge.
Vivian schnappte sich einen toten Ast, der fünf Zentimeter dick und etwa einen Meter lang war.
»Alle bereit?«, fragte Cora.
»Klar zum Angriff«, sagte Finley.
Sie traten aus dem Schatten des Baums. Mit Erleichterung stellte Abilene fest, dass Cora nicht direkt auf die Vordertür zusteuerte. Offensichtlich war ihr Plan, hinter der Hütte herumzugehen, um die Lage besser einschätzen zu können.
In der Wand der Hütte befand sich ein Fenster. Es war geöffnet, aber durch das rostige Gitter davor konnte Abilene nichts erkennen.
Sie behielt es im Blick, befürchtete, dass jeden Moment ein Gesicht aus der Dunkelheit auftauchen und sich gegen das Gitter pressen konnte.
Finley brach aus der Reihe aus und ging auf die Hütte zu. Abilene packte sie am Kragen ihres feuchten Hemds. Finley warf ihr einen wütenden Blick zu, doch Abilene schüttelte den Kopf. Mit einem Achselzucken nahm Finley wieder ihren Platz hinter Vivian ein.
Sie umrundeten die hintere Ecke der Hütte.
Hier entdeckten sie zwei weitere Fenster zu beiden Seiten der Hintertür. Holzstufen führten von der Tür zu einem Pfad, der mitten durch den Garten verlief und sich im Wald verlor. Abilene sah sich um. Niemand zu sehen.
Sie beobachtete Cora, wie sie sich einem der Schuppen näherte. Abilene vermutete, dass es sich um ein Klohäuschen handelte. Die windschiefe Tür besaß keinen Griff und war nur mit Haken und Öse verschlossen.
Cora griff nach dem Haken.
Um Himmels willen, dachte Abilene, glaubt sie wirklich, Helen ist da drin?
Cora hob den Haken. Die Tür schwang auf, die uralten Angeln quietschten laut. Ein Schwall heißer, stinkender Luft quoll aus der Türöffnung.
Im Schuppen befand sich nichts außer einer
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