Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
Die Worte des Fremden hallten in seinem Kopf nach. Auch der letzte Teil, den er noch aus dem hustenden Lachen herausgehört hatte: „Aber denk daran, Seru: Erwarte keine Wunder.“
Ständig kreisten seine Gedanken um das mitangehörte Gespräch und formten immer wieder dieselben Fragen:
Was war das N4-Center? In welchen Schwierigkeiten konnte das Kloster sein, dass es auf die Hilfe des Verhüllten angewiesen war?
Bisher hatte Atlan gedacht, dass er ebenso den Befehlen Serus unterstand wie die Priester, doch dieses Gespräch ließ eher das Gegenteil vermuten.
Wurde die Abtei erpresst? Die Priesterschaft war nicht so passiv, wie sie die Leute glauben lassen wollte. Auf seine Art lenkte Seru das Schicksal der Stadt ebenso wie der Präsident in seinem Regierungsturm. Seru bestimmte, wer finanziell unterstützt wurde, und dadurch auch, welches Verhalten sie bei den gläubigen Arbeitern forcierten. Aber diese Art von Einfluss war eine heikle Gratwanderung, soviel bekamen selbst Novizen wie Atlan mit, wenn sie im Unterricht zwischen den Zeilen lesen konnten. Serus Position erlaubte keine Fehler.
War es das, was der Verhüllte mit der bedrohten Reputation des Meisters gemeint hatte?
Und der schlimmste aller Gedanken: Wenn der Verhüllte von seinen Leuten gesprochen hatte – hieß das, es gab noch mehr von seiner Art?
Mehr denn je bedauerte er, dass er niemanden hatte, mit dem er vertraulich über diese Dinge reden konnte. Und früher als gedacht konnte er selbst den heimlichen Unterricht mit Ramin nicht mehr dazu nutzen, um über diese und persönlichere Fragen zu grübeln.
Die wenigen Tage, die Niove in der Lehreinrichtung für Klone verbrachte, ließen sich mit einem Wort beschreiben: Katastrophe. Zwar waren alle dort auf eine ähnliche Weise optimiert worden wie sie, dennoch hinkte der Unterricht Nioves Wissen weit hinterher. So unbefriedigend ihre Privatlehrer auch gewesen sein mochten, waren sie doch eine von ihrem Vater handverlesene Elite gewesen, die ihren Unterricht auf eine einzige Schülerin abstimmen konnten, während hier die Fähigkeiten der Schüler variierten.
Doch das war nicht der eigentliche Grund für Nioves Misere. Egal, wie gering die Optimierung ihrer Mitschüler war, sie alle waren das Endprodukt derselben Erziehung und strebten ein Ideal an, das vielen der völlig künstlich gezeugten Klone einprogrammiert wurde: absolute Perfektion. Und das erforderte die Verbannung sämtlicher Emotionen. Nur wer nicht den unvorhersehbaren, durch unnötige Gefühle verursachten Stimmungen unterlag, konnte seine Arbeit unbeeinflusst und verlässlich erledigen.
In all den Stunden dort sah Niove nicht ein einziges Lächeln, keinen Frust über nicht bewältigte Aufgaben, keine Freude. Ebenso gut hätte man sie inmitten einer Horde Roboter setzen können. Anfangs dachte sie noch, es wäre bloß das kühle Verhalten einer Fremden gegenüber. Aber ihre Versuche, die Stimmung irgendwie aufzulockern, schlugen vernichtend fehl.
Ob es die auferlegte Ausdruckslosigkeit der anderen war, die Niove unfreundliche Blicke ersparte, oder das Wissen darum, wessen Tochter sie war, konnte sie nicht beurteilen. Unangenehm war das Gefühl unterdrückter Ablehnung trotzdem, das sich bald zu intensiv erlebter Andersartigkeit zusammenballte.
Niedergeschlagen musste sich Niove schließlich eingestehen, dass das nicht der Weg war, den das Leben ihr beschieden hatte.
„Morgen während der Übungsstunden wird Meister Seru die neuen Prüfungskandidaten bekannt geben. Dein Name wird darunter sein.“
Der leicht melancholische Klang in Ramins Stimme mischte ein Gefühl des Abschieds zu dem Schock, den diese Information in Atlan ausgelöst hatte. Sprachlos starrte er den Rücken des Priesters an, der weiter Datenträger in das kleine Regal hinter seinem Pult schlichtete, während er fortfuhr: „Das hier wird unser letztes Treffen sein.“
„Aber wie kann das sein?“, brachte Atlan schließlich heraus. „Ich bin doch noch zu jung für die Prüfung!“
Nun wandte Ramin sich doch um. „Mein Junge, wie kommst du denn auf die Idee, dass das etwas mit Alter zu tun hätte? Bei den meisten von euch können wir das doch ohnehin nur schätzen. Dein erster Ausbildungsabschnitt ist beendet, so ist das nun einmal.“
Aufregung und Wehmut wirbelten in Atlan durcheinander. Adept zu sein bedeutete, neue Aufgaben zu bekommen und endlich die Mauern des Klosters zumindest vorübergehend verlassen zu können. Es bedeutete aber vermutlich
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