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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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auch das Ende der Diskussionen mit Ramin, zu denen sein Unterricht allmählich geworden war. Und die Entbindung von seinen bisherigen Pflichten.
    Atlan dachte an Rellan, den nervösen Novizen, der ihm nach Lorios Adeptenprüfung als jüngerer Bruder zugeteilt worden war. Zwei Jahre lang hatte er die Verantwortung für ihn getragen, aber er hatte nicht das Gefühl, in dieser Zeit allzu viel bei dem Jungen bewirkt zu haben.
    Er konnte nur hoffen, dass es genügte, um Rellan aus gröberen Schwierigkeiten herauszuhalten. Seru hatte eine besonders harte Hand bei Novizen, die ihre Schwäche so offen zeigten.
     
    Die Meditationsübungen und der verstärkte Unterricht in der Vorbereitungszeit kamen Atlan seltsam banal vor. Er hatte nicht gerade die Erleuchtung erwartet – aber irgendetwas musste es doch sein, das während dieser Zeit passierte. Etwas Spürbares, eine innere Veränderung … doch da war nichts. Er fühlte sich wie immer.
    Als die Tage kamen, die sie abgeschottet im Keller verbringen sollten, wurde ihm allmählich mulmig zumute. Hatte er etwas verpasst? Alle schienen so ruhig und gefasst, dass er argwöhnte, sie hätten in der Zwischenzeit eine Erfahrung gemacht, die ihm versagt geblieben war.
    Umso nervöser wurde er, als man sie jeweils zu zweit in kleine Kammern führte, in denen sie bereits ein Priester erwartete. Jedem von ihnen wurde eines der beiden Pulte zugewiesen. In den Tischplatten waren Monitore eingebettet, auf denen das Symbol des Glaubens zu sehen war: drei Augen in einer stilisierten Pyramide. Die unteren beiden waren geschlossen als Zeichen der Enttäuschung, die Gott für seine Schöpfung empfand, das oberste geöffnet. Der Schöpfer sah jede Sünde, die der Mensch beging.
    Ein Blick in Richtung seines Prüfpartners genügte, um auf dessen Gesicht die gleiche Anspannung zu lesen, die sich auch in Atlan ausgebreitet hatte.
    Ihnen wurde bedeutet, Platz zu nehmen, und die Prüfung begann.
    Anfangs waren es noch einfache Fragen, die auf dem Monitor erschienen. Themen, die im Unterricht häufig besprochen worden waren, wie etwa die sechs Säulen des Glaubens (Demut, Reue, Vehemenz, Pflichterfüllung, Hingabe und Aufgabe), welche Sünden auch durch größte Ergebenheit keine Absolution erhalten konnten und Ähnliches.
    Dann kamen Fragen, die ihre Eignung als Missionare und Prediger testen sollten und ihre freie Wortwahl – wenn auch nicht Meinung – erforderten. Dass Gott sich abgewandt hatte, weil der Mensch ihn zu übertrumpfen versuchte, indem er seine eigene widernatürliche Schöpfung begann, war einfach. Aber sollte es Aufgabe des Glaubens sein, die fehlgeleiteten Personen von ihrem Weg abzubringen, oder sollten nur jene Erlösung finden können, die ihren Weg selbst erkannten? Wem sollte erst geholfen werden – jemandem, der Gott ergeben diente, oder einem mäßig Gläubigen, der durch Spenden das Überleben des Klosters sicherte und so dafür sorgte, dass anderen geholfen werden konnte?
    Stunden über Stunden hörte der Monitor nicht auf, neue Fragen zu formulieren. Als die Prüflinge abends endlich auf die bereitgestellten Pritschen sanken, hatten viele das Gefühl, nie mehr einen Satz zu Ende denken zu können.
    Der zweite Tag brachte die praktischen Prüfungen mit sich.
    Immer noch zu zweit mussten sie aneinander vorführen, wie man den Leidenden Mut und Trost gab, die Armen so mit Speisen versorgte, dass sie nicht hungern mussten, aber genug für viele mehr von ihnen übrig blieb. Wie man Wunden verband, um Preise für Verpflegung feilschte, die rituelle Reinigung nach einer Rückkehr von draußen vollzog und Weiteres.
    Atlan, der aufgrund seines Alters dem anderen Prüfling körperlich unterlegen war, benötigte die ersten Stunden, um seine Scheu vor Berührungen zu überwinden und die angelernte Reaktion, stets dem Älteren den Vortritt zu lassen, zu unterdrücken. Dann jedoch legte er einen Eifer an den Tag, der ihren betreuenden Priester verwundert die Augenbrauen hochziehen ließ.
    Das Kloster war zwar groß, doch abgeschottet. Jeder, ob Priester oder Novize, kannte einander – und Atlans zurückgezogenes, unsicheres Auftreten war allgemein bekannt, selbst seinem eigenen jüngeren Bruder gegenüber hatte er sich oft scheu verhalten. Doch während er im Umgang mit Rellan bereits Einfühlungsvermögen und Führungsfähigkeiten gezeigt hatte, offenbarte er im Zuge der Tests auch ein Geschick für Diplomatie und Organisation, um das ihn viele der älteren Prüflinge beneidet

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