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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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eigentlich fühlte sich seine gesamte Haut nur prickelnd an, wie ein eingeschlafenes Körperteil, das durch die erneute Durchblutung gerade wieder aufgeweckt wurde.
    Nachdem Xenos seine Behandlung beendet hatte, wurde Haron in seine Schlafnische gebracht. Nicht seine alte außerhalb der Gemeinschaft, sondern eine für ihn vorbereitete Kammer mitten im Wohnzentrum. Er war ein Teil der Familie geworden.
     
    In das grobe Gewand und die Tücher der Puristen gehüllt stand Haron vor den Fenstern, die einmal sein Zuhause gewesen waren. Seine Verletzungen waren verheilt, sein Arm ebenso wie die Schnitte, die er selbst sich zugefügt hatte.
    Er hatte seine Sianna sehen wollen, ihr sagen, dass er lebte und einen Platz für sich gefunden hatte. An dem er gewollt war, an dem er nützlich war. An dem sie wieder zusammen sein könnten.
    Aber er erkannte, dass er ihr das nicht antun konnte. Sie war nie gewesen wie er, hatte nie gekämpft, sondern sich in ihre Träume und Hoffnungen geflüchtet.
    Er könnte es nicht ertragen, ihr in die geliebten zu Augen sehen und darin die Abscheu und Furcht zu erkennen, die sie zwangsläufig bei seinem Anblick empfinden musste.
    Sie würde den Mann nicht sehen wollen, der er geworden war. Sie würde ihn nicht lieben können, und auch die Gärten würden sie nicht glücklich machen. Selbst ein Kind würde sie nicht glücklich machen, wenn sie ihm dafür in den Abgrund folgen müsste.
    Haron wollte seine Frau nicht verlieren, aber noch weniger wollte er ihr Unglück. Er griff in den Umhang und zog die einzelne Blüte hervor, die er aus den Gärten mitgenommen hatte. Stumme Tränen benetzten die Blätter, die bereits zu welken begannen und ihre fröhliche Farbe verloren, als er sie küsste und in den Spalt im Fensterbrett klemmte, den er so lange hatte reparieren wollen.
    Er ging, ohne zu klopfen oder sich umzusehen.
    Und ohne den Schatten zu bemerken, der ihm aus dem Untergrund gefolgt war und jetzt eine Hand nach der Blüte ausstreckte.
     
     

5. Kapitel
     
    Der Mann, der sich über die Kanzel beugte, war von beeindruckender Gestalt. Das bezog sich weniger auf seinen Körperbau, vielmehr waren es sein Gebaren und seine Haltung, die ihn so groß und bedrohlich wirken ließen. Ein Eindruck, der durch die niedrigere Position der Gebetbänke nur verstärkt wurde. Die Gläubigen sahen unruhig zu dem Prediger auf und versuchten dabei gleichzeitig, seinem stechenden Blick auszuweichen.
    Niove zupfte nervös am Saum der groben Kleidung, die sie trug, als könnte das ihr Bedürfnis befriedigen, in den Falten des Gewandes zu verschwinden. Der Priester jagte ihr ungeheure Angst ein, obwohl er bisher kein einziges Wort gesprochen hatte. Und dem Verhalten der anderen nach zu schließen, erging es ihnen nicht besser. Sie fragte sich, warum dieses Gebetshaus so gut besucht war, wenn doch scheinbar jeder gegen den Drang ankämpfen musste, aufzuspringen und hinauszustürmen.
    Sie hatte in den letzten Monaten mehrere solcher Gebetsstätten aufgesucht. Ihr gewöhnliches Gesicht ließ sie in der Menge verschwinden, sobald sie sich einen der einfachen, form- und farblosen Overalls überstreifte, die in der unteren Schicht vorwiegend getragen wurden. Einige Male hatte sie den Priestern so fast von Angesicht zu Angesicht gegenübergesessen, lieber verbarg sie sich jedoch in den hinteren Reihen, um von dort aus unauffällig die Zeremonie zu beobachten.
    Meistens wurde dabei von Hoffnung und vom rechten Weg gesprochen, viel zu oft aber auch von Furcht, Empörung und Wut. Einer der Prediger hatte regelrechte Hasstiraden geschwungen, die Menge mit widerwärtigen Parolen aufgepeitscht und den Klonen die Hölle versprochen – ewige Qualen, die den widernatürlichen Sündern selbst im Tod keinen Frieden gewähren und sie möglichst schon zu Lebzeiten heimsuchen sollten.
    Um dieses Viertel hatte Niove von da an einen großen Bogen gemacht – niemand konnte vorhersehen, wozu verzweifelte Menschen im Stande waren, wenn sie sich auch noch im Recht fühlten.
    Aber selbst dort hatte sie sich nicht so bedroht gefühlt wie unter dem lauernden Schweigen dieses Predigers. Sie hätte schon längst die Flucht ergriffen, wäre die Anspannung der Anwesenden nicht derart greifbar gewesen. Kein Flüstern oder Räuspern war zu hören. Obwohl Niove kaum zwei Meter von der breiten Doppeltür entfernt in der Menge der anderen Gläubigen an die Wand gepresst wurde, hatte sie das Gefühl, sofort enttarnt zu werden, wenn sie sich nur einen

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