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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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war. Er konnte ihr ansehen, wie bedrückt sie war, sprach sie jedoch nicht an. Zu gut erinnerte er sich an seine erste Spendenverteilung.
    Schließlich brach sie das Schweigen.
    „Es war nicht genug.“ Ihre Stimme war gepresst, als lastete das gesamte Leid derjenigen auf ihrer Brust, die hungrig geblieben waren.
    Atlan kannte das Gefühl. „Es ist nie genug.“
    Sie schien innerlich zerrissen, doch als sie wieder sprach, hatte sie das Thema gewechselt.
    „Sie verhüllen sich.“ Atlan nickte stumm und sie fuhr fort. „Warum? Draußen tun sie das nicht.“
    „Sie wollen zeigen, dass sie Menschen sind. Hier haben sie das nicht nötig, aber draußen … Draußen wollen sie zeigen, was sie aus sich gemacht haben. Ein Fleisch gewordenes Mahnmal.“
    „Es sind mehr geworden“, meinte sie traurig und umfing fröstelnd ihren Körper mit den Armen.
    Atlan verneinte. „Nicht so viel mehr, wie es den Anschein hat. Früher haben sie sich verhüllt und unter der Erde verkrochen. Aber seit einiger Zeit drängen sie an die Öffentlichkeit.“
    Ihre Augen fingen seinen Blick und hielten ihn. „Es steht ein Umbruch bevor.“
    Er nickte schweigend. Es blieb nichts hinzuzufügen.
    Sie erhob sich von der Bank, auf der sie Platz genommen hatten. „Ich muss nach Hause, meine Familie macht sich sicher schon Sorgen. Darf ich wieder kommen?“
    Verblüfft stimmte er zu. Ein Lächeln ließ ihr Gesicht erstrahlen, als sie ihm die Hand zum Abschied reichte. „Übrigens, das habe ich vergessen. Ich bin Niove.“
    In dieser Nacht verschonte ihn der Traum von der Mutter Gottes, der in all den Jahren nichts von seiner bedrohlichen Vorahnung eingebüßt hatte. Stattdessen war es Niove, der seine Gedanken galten. Ihre Anwesenheit bei der nächsten Messe fürchtete er fast so sehr, wie er sie ersehnte. Trotzdem fiel ihm seine Rede von Hoffnung und Glaube um vieles leichter, nachdem er ihr Gesicht in der hintersten Reihe ausgemacht hatte.
     
    Niove war vollkommen übermüdet. Als sie in der Nacht heimgekommen war, hatten bereits alle geschlafen, was die Diskussion am Morgen nur verschlimmert hatte. Eigentlich war es eine Übertreibung, das Ganze als dialogartig hinzustellen – den Großteil der Unterhaltung hatten ihr Vater und ihre Brüder bestritten, indem sie Vorwürfe aneinanderreihten. Über ihr ungebührliches, unberechenbares Benehmen, ihre Weigerung, eine Stelle im Center anzunehmen, die man ihr trotz ihres undankbaren Verhaltens angeboten hatte, ihre ständigen Ausflüge mit unbekanntem Ziel, die nun auch noch bis spät in die Nacht dauerten …
    Sie hatte alles über sich ergehen lassen und schließlich knapp geantwortet, dass sie von nun an einen geregelten Tagesablauf verfolgen würde. Sie hatte eine Arbeit gefunden, die ihr Erfüllung brachte, die aber eben zum Teil auch in den Abendstunden angesiedelt war.
    Damit war sie aufgestanden und in ihren Zimmern verschwunden, um sich noch ein wenig auszuruhen. Zu ihrem Frust hatte sie allerdings dank ihrer sich überschlagenden Gedanken kein Auge zugemacht, sodass sie jetzt Atlans Worten kaum folgen konnte.
    Dass ihre Arbeit unbezahlt war und aus Nächstenhilfe bestand, würde sie ihrem Vater bei Gelegenheit beichten. Unter vier Augen. Wenn jemand aus ihrer Familie Verständnis dafür aufbringen konnte, dann er. Obwohl sie auch bei ihm ihre Zweifel hatte – egal, wie viel er ihr normalerweise durchgehen ließ, er war dennoch mit Leib und Seele ein Materialist.
    Geduldig wartete sie wieder, bis Atlan sich um sämtliche Gläubigen gekümmert hatte. Ihr entging nicht das Glitzern, das sich in seine Augen stahl, als er auf sie zukam. Geschmeichelt lächelte sie ihm entgegen – in ihrer Welt galt sie nicht als hübsch, dafür als schwierige und unbeständige Person, was einem charakterlichen Todesurteil gleichkam.
    Atlan hingegen begrüßte sie voller Freude. „Schön, dass du wieder gekommen bist. Es tut gut zu sehen, dass man nicht alleine gegen das Unglück kämpft.“
    Sie nickte ihm zu. „Mir geht es genauso.“
    Damit nahm sie ihm den Sack mit den Essensgaben ab, obwohl sie das Gewicht kaum tragen konnte. Aber sie biss die Zähne zusammen, schwankte damit zur Tür und ignorierte seine helfend ausgestreckte Hand. Sie war lange genug behütet worden, sie wollte nicht schwach und unbrauchbar wirken. Und so zögernd sie sich das auch eingestand, war es besonders Atlan, von dem sie auf gar keinen Fall so wahrgenommen werden wollte.
    Ihr trotziges Verhalten entlockte ihm ein Grinsen,

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