Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
dass er fast angenommen hätte, sie hätte nur laut gedacht.
„Xenos sagt, dass sich nichts ändern wird. Wir Menschen sind nur Futter für die Maschinen, und solange es uns gibt, werden die Maschinen das Wertvollere sein. Erst wenn sie Klone für unsere Arbeit einsetzen müssen, werden sie Unfälle verhindern.“
Das war es, dachte Haron. Der Köder, den sie auswarfen, um ihn zu fangen. Und er konnte bereits fühlen, wie er sich in sein Fleisch grub, weil er aus dem puren Gift der Wahrheit bestand. Ebenso wie er wusste, dass es für Maretha keine leere Phrase war.
Für niemanden hier war es das.
Als sie ihre Mahlzeit beendet hatten, wurde Haron weiter ins Innere der Stadt geführt. Maretha erklärte ihm mit Hilfe anderer Puristen manche der Arbeitsabläufe, die notwendig waren, um das Überleben hier unten zu sichern. Haron versuchte, sich die Details einzuprägen, doch er merkte, wie sie sich in seinem Kopf zu einem unentwirrbaren Knoten verhedderten.
Zu fremd waren ihm diese Dinge, die an der Oberfläche keiner Erwähnung bedurften, wo alles in Fabriken ähnlich der seinen hergestellt wurde. Wie sollte er auch einen Bezug zu dem Vorgang der Produktion finden, wenn jeder Arbeiter immer nur einen einzigen Schritt des großen Ganzen sah?
Erst als sie die Gärten erreichten, erfasste er die Andersartigkeit dieser unterirdischen Stadt in ihrem ganzen Umfang. Ein berauschender Duft formte sich aus den Aromen der Kräuter und Pflanzen und erfüllte die Luft. Was ihn jedoch fesselte, war vor allem die blendende Helligkeit, deren Ursache irgendwo hoch über ihnen liegen musste.
Haron betrachtete seine Hand in dem merkwürdigen Licht, das Millionen winziger Partikel in der Luft zum Strahlen brachte. Der ganze Raum schien vor Lebendigkeit zu zittern. Wie gebannt beobachtete er das Schauspiel, bis er sich schließlich überwinden konnte, die Stille zu stören.
„Maretha, was für eine Art Licht ist das?“
„Du hast es noch nie gesehen, nicht wahr? Ich auch nicht, bis ich hierher gekommen bin.“ Auch sie hob die Hand, wie um Harons Bewegungen zu imitieren, zog sie dann aber schnell unter den Schutz der weiten Ärmel zurück. „Es ist Sonnenlicht.“
„Sonne? Hier unten?“ Blinzelnd sah Haron nochmals hinauf, bis seine Augen brannten. „Wie ist das möglich?“
„Es ist ein Schacht, der an der Seite des N4 hochführt. Der obere Teil liegt über der Smogschicht.“ Maretha deutete auf die gleißend hellen Wände. „Siehst du die Spiegel? Sie tragen das Licht bis hierher. Die Luftversorgung erfolgt übrigens auch über diesen Schacht. Nebenbei bemerkt – auch die des N4.“ Ein leises Lachen drang aus ihrer Kapuze. „Sie denken, sie wären uns so überlegen, dabei ahnen sie nicht, wie nah sie uns sind. Sie atmen sogar die selbe Luft wie wir.“
Haron stieß schmerzhaft mit seinem Stumpf gegen die Stirn, als er sich den Kopf kratzen wollte. Alte Gewohnheiten ließen sich schwer ablegen.
„Wie kommt dieser Schacht zustande? Wer hat ihn gebaut? Selbst wenn der Schacht bereits vorhanden gewesen wäre, die Anbindung wäre niemals mit den technischen Mitteln möglich gewesen, die ich bisher hier gesehen habe.“
Maretha hob nur die Schultern und ließ dahingestellt, ob diese Antwort das Desinteresse an Vergangenem oder ihre Ungerührtheit gegenüber seinem unterschwelligen Vorwurf der Verheimlichung ausdrücken sollte.
Leicht verärgert wandte Haron sich den Pflanzen zu, ließ dann aber staunend seinen Blick darüber schweifen. Er hatte nicht gewusst, dass noch so viele Arten existierten. Außerdem vermutete er, dass zumindest ein Großteil davon essbar war.
Er erschrak, als sich plötzlich ein grauer Schatten über alles legte und die zuvor strahlenden Farben stumpf und leblos aussehen ließ. Maretha nahm ihren verdutzten Begleiter am unverletzten Arm und führte ihn von den Beeten fort.
„Eine Wolke“, erklärte sie im Gehen. „Sie sind wie Smog, nur … gesünder. Manchmal ist es den ganzen Tag über so. Wenn es dann regnet, ist es, als wäre die Luft gewaschen worden. Weil das Wasser nicht durch den Smog fällt, ist es viel sauberer als der Regen draußen.“
Sie deutete auf zahlreiche durchsichtige Rohre, die ein systematisches Netz über ihren Köpfen bildeten, an dessen Knotenpunkten nach oben offene Trichter saßen. Erst jetzt, wo es dank dieser Wolke möglich wurde, nach oben zu sehen, wurden sie sichtbar.
„Die Trichter fangen einen guten Teil des Wassers auf, und wir reinigen es
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