Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
Vom Netzwerk:
Seine Stimme hinterließ trotz ihres etwas kratzenden, aber ruhigen Klangs den Eindruck, einem Mann gegenüberzustehen, der es gewohnt war, Befehle zu geben. Wie es sich zeigte, wurden diese auch befolgt, denn an Maretha gewandt murmelte er nur ein „Danke“ und sie verließ sofort mit einer tiefen Verbeugung den Raum.
    Mit einer einladenden Geste deutete Xenos auf den unheimlichen Tisch.
    Als Haron sichtlich zögerte, verzogen sich seine narbigen Lippen zu einem Lächeln. „Hab keine Angst, mein Freund. Wir haben hier sehr viel mit Verletzungen zu tun, und ich wage zu behaupten, dass ich einige Erfahrung mit der Versorgung von Wunden habe.“
    Mit einem mulmigen Gefühl tat Haron wie geheißen und legte sich mit dem Rücken auf die kalte Oberfläche. Während Xenos sich daran machte, die Bandagen zu lösen, schloss Haron die Augen – und musste bei den letzten Metern des Stoffes die Zähne zusammenbeißen, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Obwohl Xenos einen wassergetränkten Schwamm benutzte, um das getrocknete Blut aufzuweichen, war der Verband zu sehr mit der aufgeplatzten Naht verklebt und riss Schorf und Haut ab.
    Xenos wusch die Wunde sorgfältig und schnitt einige der Nähte auf, die sichtlich nicht halten würden oder bereits gerissen waren. Dann nähte er sie mit aller Geduld neu und bestrich schließlich die gesamte Naht mit einer grünlichen, antiseptisch riechenden Paste.
    Zu guter Letzt entnahm er aus einer Truhe einen frischen Verband, den er mit sicheren Handbewegungen, die er sich nur durch häufige Wiederholung angeeignet haben konnten, eng um Arm und Stumpf schlang.
    Abschließend betrachtete er sein Werk und hob dann den Vorhang, um Maretha wieder hereinzubitten. Gemeinsam halfen sie Haron auf die Beine.
    „Maretha wird dich in unsere Küche bringen, du benötigst dringend Stärkung. Bleib und lern, solange du willst. Wenn du gehen möchtest, wird jemand dich hinausbegleiten.“
    Damit schien die Angelegenheit für Xenos erledigt zu sein. Er wandte sich seinen Instrumenten zu und begann, die durch Harons Versorgung verursachten Flecken abzuwischen.
     
    So unappetitlich der merkwürdige Eintopf auch aussah, den man Haron in einer Schüssel reichte, so überraschend war der intensive Geschmack, den er enthielt. Maretha lachte über seinen Gesichtsausdruck und erklärte, dass sie über Kräutergärten verfügten. Anders als die Anbaufabriken außerhalb der Stadt besaßen sie keine Landwirtschaftsmaschinen und mussten die Pflanzen mit Pinseln selbst bestäuben. Aber es gab ihnen die Möglichkeit, frische Zutaten selbst zu produzieren und ihre Speisen kräftiger zu würzen als die Essensfabriken in Noryak.
    „Sianna würde das lieben“, entfuhr es Haron, ehe er es verhindern konnte. Melancholie war nicht seine Art, aber die Gedanken an seine Frau schnürten ihm die Kehle zu.
    Maretha schien seine Gefühle zu verstehen. „Vielleicht möchtest du es ihr eines Tages zeigen“, lächelte sie ihm aufmunternd zu. Haron aber schüttelte den Kopf.
    „Versteh mich nicht falsch, aber ich habe von euch gehört. Ihr seid diejenigen, die sich die Puristen nennen, nicht wahr?“ Als sie nicht widersprach, fuhr er fort. „Ich bewundere euren Einsatz, aber ich hätte mein Leben gegeben, um das von Sianna zu erleichtern. Ich will nicht, dass sie verletzt wird.“
    „Wenn ich dich das fragen darf, wovon lebt sie – jetzt, wo du nicht mehr für sie sorgen kannst? Hat sie Verwandte, die sich um sie kümmern können?“
    In Marethas Frage lag ehrliches Interesse, trotzdem bemerkte Haron, dass sie zu einem bestimmten Zweck geäußert wurde. Nach kurzem Zögern antwortete er dennoch.
    „Sie hat niemanden. Aber sie ist noch jung, sie wird nicht alleine bleiben. Und sie hat Arbeit …“ Sein Blick fiel auf Marethas zerfurchtes Gesicht, das sie freigelegt hatte, um zu essen, und die Stimme brach ihm. Er räusperte sich, aber der Gedanke ließ ihn nicht los, dass seine Sianna dem gleichen Schicksal erliegen könnte wie Maretha – oder er selbst.
    Er musste schon mehrere Minuten lang geschwiegen haben, als Maretha sanft seinen Handrücken berührte, um ihn zurückzubringen. Er sah in ihr gutes Auge und registrierte, dass sie einmal eine schöne Frau gewesen sein musste. Ihr Blick war von Scharfsinn gezeichnet, und die hohen Wangenknochen mussten ihr früher ein aristokratisches, leicht exotisches Aussehen gegeben haben.
    Sie schlug die Augen nieder, als hätte sie seine Gedanken erraten, und sprach so leise,

Weitere Kostenlose Bücher