Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
kein Grund gewesen, ihn endgültig zu verlassen. Mittlerweile waren sie alle zurückgekehrt, und nicht nur das. Unter den dicht gedrängten Gesichtern der Gläubigen sah er viele, die ihm noch völlig unbekannt waren.
Die Verschwörung tat ihre Wirkung.
Es war nicht Verzweiflung, die Tristklan auf die Straße trieb, auch wenn er es vor sich selbst so rechtfertigte. Natürlich waren die neuen Auflagen des Klosters eine untragbare Belastung. Das wenige, was sie ihm von den Einkünften seines Hauses wieder zur Verfügung stellten, reichte bei weitem nicht, um seine eigenen Kosten zu decken.
Aber seit die Anschläge begonnen hatten, hatte sich außerdem eine Veränderung in den Gläubigen vollzogen. Unmerklich zuerst, doch dann immer schneller, wie ein Haufen Geröll, der von einem einzelnen losen Stein in Bewegung versetzt worden war. Seine Predigten, die sie bisher so zahlreich angezogen hatten, konnten sie nicht länger halten.
In den einen breitete sich Angst aus. Sie wollten nichts mehr von einer Vernichtung der Klone hören, der nächtliche Terror in den Straßen und seine Folgen für ihre eigenen Leben hatten ihnen den Widerstand ausgetrieben. Und die anderen … Viele seiner ehemaligen Anhänger hatten den offenen Kampf der Puristen zum Anlass genommen, selbst aktiv zu werden.
Was bedeutete, dass täglich weniger Menschen zu seinen Messen erschienen, ohne die er seine Gebetsstätte nicht erhalten konnte. Die Bittsteller dagegen nahmen beständig zu und forderten Dinge, die er ihnen nicht geben konnte. Nicht mit den neuen Auflagen des Klosters.
Ein anderer als er hätte vielleicht versucht, seinen Kurs zu ändern, hätte sich doch noch den Abtrünnigen angeschlossen und gegen die Tyrannei des Abtes rebelliert. Aber Tristklan war ein konsequenter Mann, was er selbst als eine positive Eigenschaft sah. Von seinem einmal eingeschlagenen Weg wich er nicht ab, warum sollte er auch? Es war richtig, was die Puristen taten. Der Glaube hatte seit Jahrzehnten versucht, die Menschen zur Vernunft zu bringen, und hatte nicht das Geringste erreicht. Vielleicht war es an der Zeit, dass andere es auf ihre Weise versuchten.
Und dann kamen diese Irregeleiteten, diese verrückt gewordenen Priester, und meinten, sich gegen ihre eigenen Brüder stellen zu können, um das Handeln der Reinen zu vereiteln. Sahen sie denn nicht, was sie damit anrichteten?
Tristklan hätte gerne aus vollen Händen gegeben, wenn er damit den Puristen bei ihrem Kampf gegen die Klone beistehen konnte. Doch mit welchen Mitteln? Diese verfluchten Ketzer versammelten immer mehr Gläubige um sich und nahmen ihren Brüdern damit die letzte Luft zum Atmen. Bald würde auch Tristklan die Türen seines Gebetshauses nicht mehr öffnen können, würde vielleicht sogar selbst einer derjenigen sein, die um Spenden bitten mussten.
Und für all das gab es nur einen Grund: die Abtrünnigen, die aus egoistischen Gründen gegen ihren eigenen Glauben agierten.
Tief in sich wusste Tristklan, dass es sein Stolz war, der heute sein Handeln lenkte. Wut und Neid trieben ihn, aber er weigerte sich, etwas anderes zu sehen als die Verzweiflung und Existenzangst, die er für die Ursachen seiner Aufgewühltheit hielt.
Also verbarg er sein Gesicht in einer Kapuze und ging mit festen, gleichmäßigen Schritten die Straße hinab. Hielt sich im Zwielicht der Schatten, die zwischen den Laternen lauerten, und umfasste den schweren Gegenstand fester, den er im Schutz seiner weiten Ärmel trug.
Die Gebetsstätte wurde bald durch das Symbol des Glaubens angekündigt, das mit Farbe auf eine der schmutzigen Mauern aufgesprüht war. Durch die beklebten Fensterscheiben, die nur billige Imitate der Monitorfenster der Eliteklasse waren, konnte er das Licht im Inneren sehen. Dank der Schallisolation drang kein Laut nach außen, doch er wusste, dass in diesem Moment dort drinnen eine Messe stattfand. Ein abtrünniger Prediger hatte seine Anhänger versammelt und hetzte sie zum nächsten Widerstand auf.
Aber Tristklan würde das beenden. Er fühlte sich wie einer der Racheengel, von denen der Glauben erzählte. Stark. Gerecht. Auf der Seite der Guten und der Schwachen.
Als der Molotowcocktail durch die Fensterscheibe schlug, brach im Inneren des Gebetshauses schlagartig eine Panik aus. Die darin versammelten Massen versuchten, vor den Flammen zurückzuweichen, doch es befanden sich weit mehr Personen in der Gebetshalle, als darin eigentlich Platz gehabt hätten. Zahlreiche Gläubige
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