Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
Handel den Kürzeren. Jetzt auch noch die Unterstützung der Gebetsstätten zu verlieren, konnte leicht den Ruin für sie bedeuten.
All das ersparte Peron seinem jungen Abt. Er hatte oft genug versucht, ihm die Grundlagen des Netzwerkes zu erklären, auf das sie angewiesen waren. Jetzt begnügte er sich nur noch mit einem zusammenfassenden: „Es wird nicht reichen.“
Sekundenlang stand Lorio mitten im Raum, sprachlos und erstarrt. Nur sein krampfhaftes Keuchen und ein nervöses Zucken über seinem rechten Auge verrieten, dass noch Leben in ihm steckte.
Dann stürzte er sich mit einem urtümlichen Schrei auf den nächsten Stuhl und schleuderte ihn mit aller Macht gegen die Wand. Allerdings unterschätzte er dabei die elastische Qualität des Möbelstücks. Mit lautem Krachen traf das Plastik die Mauer, schabte dort den Verputz ab und schnalzte dann, selbst unbeschädigt, mit unverminderter Wucht zurück in die Richtung, aus der er geflogen gekommen war.
Peron konnte ein schadenfrohes Schmunzeln nicht unterdrücken, als Lorio stöhnend unter dem widerspenstigen Sitzmöbel lag, eilte aber nichtsdestotrotz sofort hin, um ihm aufzuhelfen. Nach der unsanften Kollision trug das jedoch nur noch weiter dazu bei, den ohnehin bereits bis aufs Blut gereizten Abt weiter Gift und Galle spucken zu lassen. Unter Gezeter, Drohungen und Schlägen warf er den Priester aus seinen Räumlichkeiten.
Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete Peron innerlich auf. Mit einigen raschen Bewegungen brachte er seine Robe in Ordnung und ging dann den Gang hinab, als wäre nichts Ungewöhnliches vorgefallen.
Es würde sicher noch einige Stunden dauern, bis Lorio sich weit genug abreagiert – und dabei noch ein paar Kosten mehr verursacht – hatte, um wieder ansprechbar zu sein. Dann würde Peron ihm den Vorschlag machen, die Mittel der Gebetsstätten drastisch zu kürzen, damit sie die raren Mittel nicht so verschwenderisch an Spenden vergeudeten. Nur so konnten das Kloster und die Häuser selbst weiterhin betrieben werden.
Ein leises Seufzen stahl sich aus seiner Kehle. Er hatte gewusst, dass es nicht leicht werden würde, doch überraschenderweise lag die Herausforderung nicht in den Demütigungen, die er von der Hand des Jüngeren zu erdulden hatte. Diese kannte er zur Genüge.
Es war das Gefühl der heimlichen Überlegenheit, das ihn leichtsinnig zu machen drohte. Den jungen Hitzkopf in eine Spirale der Selbstzerstörung zu führen, war leichter als erwartet. Sollte er alle Gläubigen vergraulen und sich dadurch die letzte Einkommensquelle nehmen. Sollte er den Puristen Verträge abluchsen, die er selbst bald nicht mehr einhalten konnte.
Lorio musste nur lange genug durchhalten, um Peron Einblick in seine Absichten zu gewähren bei den Aufträgen, die er den Reinen erteilte. Selbst in seinem verblendeten Zustand musste Lorio doch mittlerweile merken, dass der Schrecken, den er verbreiten ließ, die Gläubigen nicht in seine Häuser hineintrieb, sondern hinaus. Es musste also mehr dahinter stecken.
Bei all dem selbstherrlichen Gebaren, das der junge Priester an den Tag legte, verplapperte er sich dabei wohl ohnehin bald von selbst. Peron musste nur so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen, um den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen.
Ja, er hatte gewusst, dass es nicht leicht werden würde. Aber er war froh über seine Entscheidung. Nicht nur, weil er eine Gnadenfrist erhalten hatte, was seinen Aufenthalt im Kloster anging. Zum ersten Mal seit Jahren verspürte er eine gewisse Befriedigung in seinem Tun. Genoss das Wissen, es Lorio stellvertretend für all die Entbehrungen, Schläge und Entwürdigungen heimzuzahlen, die er in diesem Haus bereits hatte ertragen müssen.
Wahrscheinlich war es wohl genau das, was die meisten Spione motivierte. Das Gefühl, dem Wohl eines Ganzen, Besseren zu dienen. Und dabei seinen nichts ahnenden Feind direkt in den Abgrund zu führen.
Atlan war nicht überrascht, als er die Gestalt im Schatten seines Gebetsraumes ausmachte, auch wenn er sie in dem Zwielicht, das außerhalb der Messezeiten hier vorherrschte, nicht klar erkennen konnte. Aber das war auch nicht notwendig. Selbst wenn er nicht vorgewarnt worden wäre, früher oder später hatte er mit Lorios Auftauchen gerechnet.
Erfreut war er über dieses Wiedersehen trotzdem nicht. Nicht nach dem grauenhaften Verdacht, unter dem sein ehemaliger älterer Bruder stand, und der Konfrontation, die er hier zweifellos
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