Das unheimliche Medium
Weg!«
Es war nur ein Satz. Doch der Klang ihrer Stimme sagte genug. Sie war eisig, sie kannte keine Rücksicht, sie war nicht zu stoppen. Wenn ja, dann mußte schon Gewalt angewendet werden, dazu war ich bereit, auch wenn Nora noch jung war.
Hinter mir war eine Mauer des Schweigens entstanden. Nichts rührte sich. Ich hörte keine Stimme, nicht einmal ein Wispern oder Flüstern, und auch das Blöken der Schafe war verstummt.
Die eisige Ruhe vor dem Sturm!
Sie sprach wieder. Das Gesicht blieb dabei unbewegt. Wie aus lichterfülltem Eis gemeißelt. »Hast du nicht gehört, was ich dir sagte?«
»Schon!«
»Dann geh!«
»Ich bleibe!«
Meine Antwort hatte Nora nicht einmal überrascht. Wahrscheinlich wäre sie auch enttäuscht gewesen, wenn sie anders gelautet hätte. Sie nickte mir zu, die Lippen zogen sich in die Breite, und sie deutete ein kaltes Lächeln an.
Es würde etwas passieren.
Worauf verließ ich mich? Es gab nur eine Möglichkeit: auf das Kreuz vor meiner Brust. Die Wärme war geblieben, sie hatte sogar noch etwas zugenommen, was mir wiederum das Gefühl der Beruhigung gab. Ich ließ sie nicht aus den Augen, tastete jeden Millimeter ihres Gesichts ab und wartete auf den Punkt, wo sie sich dazu entschlossen hatte, mich endlich aus dem Weg zu räumen.
Noch zögerte sie. Was war der Grund? Traute sie mir nicht? Oder traute sie plötzlich ihren eigenen Kräften nicht mehr?
Ich konnte es nicht sagen, ich mußte einfach warten, denn ich selbst wollte nicht beginnen.
Hinter mir standen die Menschen. Nora hatte ihren Bann über sie gelegt, und sie konnte sich einfach keinen Rückzieher mehr leisten. In ihren Augen funkelte es.
Das war der Beginn.
Sie nickte.
»So«, sagte sie.
Und einen Augenblick später griff mich Nora Shane mit geballter Kraft an…
Vor meinen und aller Augen explodierte das Mädchen und wurde zu einer wahren Lichtwolke, die keinen Kontakt mehr mit dem Erdboden hatte.
Eine strahlende Erscheinung, aber keine Mutter Gottes. Wir befanden uns auch nicht in Lourdes, sondern in England, und sie war einfach mein Feind.
Mein Kreuz, wenn ich es aktiviert hatte, verwandelte sich ebenfalls in eine Lichtbombe. Bei Nora geschah nur ungefähr das gleiche. Sie hatte sich in ein Inferno von Blitzen verwandelt, so daß ich den gleichen Effekt erlebte wie bei meiner Ankunft, nur diesmal aus unmittelbarer Nähe und als Beteiligter.
Die Blitze jagten durch den Körper. Sie sprengten ihn, sie lösten ihn auf, zumindest hatte ich den Eindruck, aber sie fanden auch andere Wege und schössen wie blanke, krumme Lanzen in die Höhe, dem Dach und der Schüssel entgegen.
Dort trafen sie das Gerät mit vehementer Wucht. Sie bliesen hinein, sie durchtobten das Oval, sie waren einfach nicht mehr zu steuern, und sie luden sich dort auf.
Die Schüssel und das Mädchen waren eine Verbindung eingegangen.
Gegenseitig gaben sie sich die Kraft, um sich zu erneuern. Ich hörte keinen Laut, aber die Luft in meiner unmittelbaren Nähe veränderte sich abermals und roch wie bei einem Gewitter.
Ja, nach Energie, nach Strom!
Welche Stromstärke dieses Wesen durchfloß, war mir unbekannt. Für mich kam es einzig und allein darauf an, das Medium zu stoppen und es zu befreien.
Ich wollte Nora nicht töten, ich mußte nur versuchen, die andere Kraft aus ihrer herauszuziehen, wobei ich nicht einmal wußte, in welch einem Zusammenhang sie mit den Kräften in der Schüssel stand.
Deshalb ging ich vor, um nach zwei Schritten die Grenzen des Infernos zu erreichen.
Plötzlich wurde es taghell. Das Inferno begann, nein, es wiederholte sich. Ich erlebte das, was ich schon einmal aus der Ferne als Zeuge beobachtet hatte.
Von der Schüssel aus und nicht von Nora fegte der Strom aus Licht und Blitzen nach allen Seiten weg. Vor allen Dingen schräg in die Höhe, um den dunklen Himmel zu spalten. Der schwarze Vorhang hatte keine Chance. Die flirrende Helligkeit zerstörte ihn, sie malte ein Netz in die graue Schwärze hinein, aber die Blitze verendeten nicht in der Unendlichkeit des Alls, sondern jagten wieder zurück auf die Erde. Sie tobten über den Ort, sie setzten ihre Kraft ein, fanden die ersten Ziele.
Vögel verbrannten in der Luft. Sie glühten nur kurz auf, dann fiel ihre Asche zu Boden.
Ein Haus wurde getroffen. Es stand nicht weit entfernt, ich konnte es aus dem linken Augenwinkel sehen. Als die grelle Lanze es traf, da sah es so aus, als wäre es durch einen breiten Zacken in zwei Hälften geschnitten worden.
Weitere Kostenlose Bücher