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Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Titel: Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Seitz
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Wellenlinien verziert waren. Nur die Seite, die sich gegenüber der Spitze befand, sah anders aus. Sie war abgeschlagen und zerkratzt, als wäre dort einmal ein Stück abgebrochen.
    Diese behelfsmäßige Nachttischlampe beschien nun die vergilbten Seiten des Buches, das Primus mit aufgestütztem Kinn betrachtete. Er hatte keine Schwierigkeiten, die altmodische Schrift mit all ihren Schnörkeln zu lesen, und schaute sich interessiert die vielen Zeichnungen an, mit denen die Seiten illustriert waren. Genau genommen waren es Baupläne, denn schließlich handelte dieses Buch von rätselhaften Häusern, gruseligen Spukschlössern und verhexten Burgruinen.
    Primus war ein wenig enttäuscht, dass sein alter Turm darin mit keiner Silbe erwähnt wurde. Aber dafür gab es eine ganze Reihe anderer Dinge, die mindestens genauso unterhaltsam waren. Zum Beispiel wurde von Häusern mit allzu garstigen Türen berichtet, welche die Besucher grundsätzlich in einen vollkommen anderen Raum führten, als sie eigentlich erwartet hatten. Wollte man beispielsweise durch die Tür zum Schlafzimmer gelangen, dann stand man plötzlich im Kohlenkeller oder gar in der Besenkammer. Es gab auch Türen, durch die man hindurchging und im gleichen Moment wieder herauskam. Ähnliche Verwirrungen stifteten Fenster, durch die man auch bei schönstem Sonnenschein in trübes Regenwetter blickte. Pünktliche Leute wiederum hatten die größten Schwierigkeiten mit bösartigen Schlafzimmerfenstern, die noch zur fortgeschrittenen Mittagsstunde nächtliches Mondlicht zeigten.
    Es gab seitenlange Berichte über eigenwillige Schlösser, verhexte Fußböden und sogar über Gartenzäune. Im Nordosten des Finsterwaldes soll einmal ein Bauer mit Namen Ewald Schindelböck den Zaun seines Nachbarn Gilly Unterbach verwünscht haben, woraufhin dessen Grundstück von Tag zu Tag immer kleiner wurde. Zum Schluss kam dieser kaum noch aus seinem Haus heraus. Der Gartenzaun von der Familie Graustein, östlich von Hohenweis, wurde je nach Tageszeit höher oder niedriger, so dass ihr Haus den ganzen Tag über im Schatten stand. Ein wirklich bemerkenswerter Zauber! Des Weiteren enthielt das Buch viele nützliche Informationen, die man beim Bau eines Gebäudes beachten sollte.
    Primus kratzte sich interessiert am Kinn und überlegte, was er davon alles im Turm einbauen könnte. Etwas gegen die mörderische Sommerhitze im Dachgeschoss fand er allerdings nicht.
    Knirschend ging die Klappe an der Pendeluhr auf und Bucklewhee lehnte sich aus dem Uhrenkasten. Primus winkte mit der Hand nach hinten ab, ohne sich dabei nach ihm umzudrehen.
    »Ich bin erstens hellwach und zweitens ist es noch lange nicht Mitternacht. Falls du also vorhattest ein wenig zu krähen, dann mach das doch bitte in deinem Kasten.«
    »Kasten kann man inzwischen bei dieser Hitze nicht mehr sagen«, entgegnete Bucklewhee und ließ den Kopf aus der Klappe hängen. »Zutreffender wäre Brutkasten oder vielleicht auch Eierkocher . Die Temperatur hier drinnen bringt mich völlig aus meinem Zeitgefühl.«
    »Nun hör dir mal an, was hier steht.« Primus tippte auf die Seite des Buchs. »Hast du gewusst, dass man ein Gebäude erdbebensicher bauen kann, indem man es in einen Sumpf setzt?«
    »Natürlich habe ich das gewusst«, sagte Bucklewhee unbeeindruckt mit geschlossenen Augen. »Wenn es einmal untergegangen ist, dann kann es ja schließlich auch nicht mehr umfallen.«
    Primus drehte sich auf den Rücken und verschränkte schmunzelnd die Arme hinter seinem Kopf. »Stimmt genau«, sagte er. »Und man müsste nicht einmal mehr einen Keller einplanen, da früher oder später jedes Geschoss automatisch zum Keller wird.« Er deutete zum Boden. »Auf diese Art bekommt man sogar noch einen Aufzug. Nur schade, dass der lediglich in eine Richtung fährt.«
    Albernes Gejohle setzte daraufhin im Dachzimmer ein.
    Bucklewhee hing aus der Klappe und klatschte gackernd mit den Flügelknochen. »Nur darf man dann morgens die Fenster nicht mehr aufmachen«, sagte er. »Sonst gibt’s eine Überraschung. Frei nach dem Motto: Morgenstund’ hat Sumpf im Mund.«
    Lachend und kichernd blödelten sie weiter.
    Dann aber wandte sich Primus wieder seinem Buch zu. Konzentriert suchte er nach der letzten Zeile. »Ah«, rief er, »hier steht, dass man den Sumpf vorher mit Strohballen füllen und anschließend dicke Erdschichten darüberschaufeln muss. Das Ganze wirkt dann wie ein Kissen, schreiben die hier, und fängt so die Schwingungen des

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