Das unsagbar Gute
können hätte man schon das eine oder andere Geräusch. Etwa das leise Quietschen des Rades an der Kaserer’schen Schubkarre, die zu ölen Margit Kaserer schon hundertmal versprochen hatte. Oder das leise Fluchen des Dr. Romuald Nowak, der das Gefährt durch den Garten hinter dem Kaserer’schen Einfamilienhaus schob ohne Sichtkontakt zu irgendetwas oder irgendjemandem.Er war auf die leise Stimme der Marie Kaserer angewiesen, die vorneweg stolperte und sich in ihrem eigenen Garten deutlich weniger gut auskannte, als sie angenommen hatte. Mit Unterbrechungen gelang es, die Grundstücksgrenze zu erreichen, danach ging es auf Leupold’schem Grund ohne Touchieren von Gartenbeetbegrenzungsbrettern auf ebener Wiese weiter zur Hinterseite der Villa. Romuald ertastete das Garagenschloss und schob die Karre hinein. Marie kam nach, sie zogen die Tür zu und machten Licht. Margit saß zusammengekauert in der Schubkarre, Romuald war schweißgebadet. Er lehnte an der fleckigen Innenwand und keuchte.
»Wir müssen Spuren gemacht haben wie eine Armee«, sagte er.
»Das macht nichts«, antwortete Marie, »es fängt an zu schneien, morgen sieht man nichts mehr. Wohin jetzt?«
Romuald deutete auf die Innentür.
Das Verstauen der tödlich verunfallten Margit Kaserer ging leichter vor sich, als er befürchtet hatte. Marie ließ es sich nicht nehmen, die Deckel der anderen Tiefkühltruhen zu öffnen, nachdem er ihr Frau Dr. Leupold in der einen offenbart hatte.
»Das ist ja hier wie in der Kapuzinergruft!«, sagte sie. Der Gedanke schien sie aufzuheitern, was ihm nur recht war.
»Es ist ja nur vorübergehend«, sagte er, »eine Notlösung sozusagen …«
»Bis Ihnen was Besseres einfällt?«
»Sie haben es erfasst, Frau Kaserer, ich hatte in den letzten Wochen einfach keine Zeit, mich damit zu befassen.«
»Und wer sind die alle?«
»Bitte, was soll das heißen: die alle ? Sie reden so, als ob das schon Dutzende wären.«
»Weichen Sie nicht aus!«
Romuald kam nicht umhin, ihr alles zu erzählen, die ganzeGeschichte von Leupold bis Charly. Den letzten Teil (Kaserer) kannte sie selbst. Die Bindl-Episode ließ er weg, Bindl lag ja auch nicht hier, sondern auf der Pathologie in Wien. Marie Kaserer war beeindruckt. Sie hätte sich, bekannte sie, das Leben von Drogendealern nicht so kompliziert vorgestellt. Er auch nicht, sagte er. Wenn er gewusst hätte, was da alles auf ihn zukam, dann … aber hinterher ist man eben immer schlauer. Sie stellten fest, dass bei Herrn Guttmann noch ein Plätzchen frei war (sie hatten für ihn aus einer Eingebung heraus eine Truhe extra large gekauft). Danach setzten sie sich im Leupold’schen Wohnzimmer zusammen und machten mit Whisky dort weiter, wo sie vor der Margit-Kaserer-Übersiedlungsaktion mit Kognak aufgehört hatten. Marie kam auf ihren Tumor zu sprechen und machte die seltene Erfahrung, dass ihr jemand zuhören konnte, ohne auf eine Gelegenheit zum Themawechsel zu lauern. Das gefiel ihr. Sie hätte sich Drogendealer nicht so nett vorgestellt. Das sagte sie ihm auch. Romuald gab zu bedenken, er sei ja kein echter Drogendealer, der das Gewerbe von der Pike auf gelernt hatte, beginnend mit dem Jugendgefängnis; er sei vielmehr eine Art Quereinsteiger. Der eigentliche Dealer sei Manfredo Gonzales Leupold, aber der hänge auch mehr am Künstler- als am Verbrecherischen und sei, genau wie er selbst, Romuald Nowak, durch die Macht der Umstände gezwungen worden. Das brachte es mit sich, Marie Kaserer seine berufliche Laufbahn zu schildern. Mit allen Höhen und den gegen Schluss zu sich häufenden Tiefen, so dass man, sagte er lachend, eher von einer »Tiefebene« sprechen müsste. Sie lachte über den dünnen Witz. Das war ein gutes Zeichen, dachte er, ließ es doch auf elementare Selbstbehauptungskräfte schließen, auf einen absoluten Willen zum Leben, der nicht durch ein tragisches Ereignis gebrochen werden konnte. Er erzählte von seinen Substanzen, bemühte sich, alles Fachkauderwelsch zu vermeiden, was ihm bisher bei Laien nie gelungen war, aberbei Marie Kaserer funktionierte es, denn sie stellte Zwischenfragen, von denen er ableiten konnte, dass sie das Wesentliche begriffen hatte. Das machte ihn froh.
Er stellte ihr eine dauernde finanzielle Vergütung in Aussicht, er werde das mit Manfredo regeln, sagte er. Sie war sehr froh und begann zu weinen, diesmal aus Freude. Der Verlust der Schwester bedeutete den Verlust der Pension und schlicht die Halbierung des sowieso dürftigen
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