Das unsagbar Gute
Romuald Nowak. Es konnte alle möglichen Nebenwirkungen aufweisen.
»Warum ist Ihre Schwester verstorben?« Er bemühte sich, die Stimme so sanft wie möglich zu halten.
»Ich hab sie erschossen …« Sie schluchzte auf.
»Weswegen haben Sie denn gestritten? Etwa wegen des Geldes? Ich hatte Ihrer Schwester doch angeboten, dass ich mich an der Renovierung …«
»Ach, hören Sie auf! Wir haben uns nicht gestritten. Ich wollte sie nur vor dem Tiger retten … ich hab auf ihn geschossen …«
»Sie haben einen Tiger dort drüben? Wieso haben Sie nicht die Polizei …«
»Es war kein Tiger, Sie blöder Idiot! Es war eine Katze! Mir kam sie nur so vor!« Sie fügte weitere Erklärungen an, die gingen aber akustisch in heftigem Schluchzen unter und blieben unverständlich. Aber Romuald brauchte keine Erläuterungen, er wusste auch so, was passiert war. »Scheiße«, sagte er mit leiser Stimme. Sie hörte ihn nicht, schenkte sich noch einen Kognak ein. »Mir auch, bitte«, sagte er. Sie machte das zweite Glas halbvoll. Er nahm einen tiefen Schluck. Eine Halluzination. Tiger statt Katze. Verzerrung der Größenverhältnisse. Gab es da nicht einen südamerikanischen Trank, der Ähnliches in der anderen Richtung hervorbrachte? Probanden fühlten sich im Drogenrausch als Riesen, die Bäume des Regenwalds unter sich wie kniehohe Sträucher … aber mit diesen pharmakologischen Problemen konnte er sich jetzt nicht befassen. MarieKaserer saß weinend und kognaksüffelnd in seinem Wohnzimmer. Was wollte sie? Warum war sie hergekommen? Sie hätte die Polizei rufen können oder die Rettung. Aber für die Rettung war bei ihrer Schwester nichts mehr zu tun; gegen die Polizei hegte sie wohl eine instinktive Abneigung, was angesichts der Schwierigkeiten, die Abwehr eines ausgewachsenen Tigers in einem Dornbirner Einfamilienhaus glaubhaft zu machen, nicht verwunderlich war. Das alles hatte Marie ihrer Panik und Verzweiflung zum Trotz inzwischen bedacht, sonst säße sie nicht hier. Daraus ließ sich etwas machen. Er nahm ihr gegenüber am Tisch Platz.
»Schenken Sie sich ruhig nach«, sagte er, »von dem Kognak muss nichts übrig bleiben, aber zuvor sollten wir uns prinzipiell überlegen, wie wir nun vorgehen wollen.«
»Sie sind schuld! Sie haben uns mit diesem Teufelszeug vergiftet!«
»Das mag so sein, aber können Sie das auch beweisen? Der Nachweis dürfte schwierig werden – man findet solche Stoffe nicht, wenn man nicht weiß, wonach man suchen soll. Ich werde jedenfalls keine Hinweise geben. Was dagegen der Polizei sehr leichtfallen wird, ist eine andere Rekonstruktion der Ereignisse. Die werden Ihre Schwester finden mit einem Einschussloch …«
»Vier. Mit vier Einschüssen …«
»Ach ja! Die Maschinenpistole vermutlich? Billiger geben Sie’s wohl nicht.«
»Was anderes war nicht da auf die Schnelle, der Tiger saß direkt vor Margit in der Küche.«
»Richtig, der Tiger … glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich keinesfalls beabsichtigt habe …«
»Ja, ja, ich bin nicht so dumm! Der Tiger ist ein Nebeneffekt. Was sollte denn die Hauptwirkung sein – diese religiösen Anwandlungen?«
»Ihrer Wortwahl entnehme ich, dass sie keine solchen Anwandlungen verspürt haben?«
»Nicht die geringsten.«
»Interessant. Liegt vielleicht an der Dosis … die Wirkung sollte auch eine ganz andere sein. Gegen Krebs.«
Marie lachte laut auf. »Das ist dann ja völlig in die Hose gegangen! Künstlerpech sagt man da wohl … wenn es nicht so zum Weinen wäre … was soll ich jetzt machen?«
Romuald war froh, dass Marie Kaserer von rascher Auffassungsgabe zu sein schien. Das ersparte eine langwierige Debatte, deren Ergebnis von vornherein feststand: Marie konnte nicht zur Polizei gehen, weil die ihre Geschichte nicht glauben würde. Der Einzige, der sie bezeugen könnte, die Geschichte, war der Dr. Nowak. Und der würde das nicht tun. Keinen Deut. Sehr wohl würde er ihr aber in anderen Belangen zu Hilfe kommen, der Dr. Nowak. Das sagte er ihr auch. Sie überlegte einen weiteren Kognak lang und stimmte dann allem zu, was er ihr vorgeschlagen hatte.
*
In der Nacht hätte ein aufmerksamer Mensch im Gelände um die Leupold-Villa und die angrenzenden Siedlungshäuser merkwürdige Aktivitäten beobachten können, da heißt: beobachten eigentlich nicht ohne Nachtsichtgerät mit Infrarothilfsbeleuchtung (und wer hat so etwas schon bei sich?), es herrschte schwarztintige Finsternis, aber hören
Weitere Kostenlose Bücher