Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
Anruf bei der Polizei. Fünf Minuten durfte man sich nach Entdeckung der Leiche schon Zeit lassen, von wegen Schock und so weiter.
    Als er damit angefangen hatte, wusste er, dass er erst aufhören konnte, wenn er fertig war – mit dem Besichtigen. Wenn er alles gesehen hatte. Jedes Zimmer, jede Abstellkammer im ganzen Haus. Es war eine Gründerzeitvilla. Das dauerte. Auch deshalb, weil die Zimmer so vollgeräumt waren. Haufenweise Stilmöbel, Truhen, Schränke. Die ließ er unberührt. Wenn er erst damit anfing, Schubladen aufzuziehen, kam er vor dem Morgengrauen nicht mehr aus dem Haus.
    Je länger seine Besichtigungstour dauerte, desto mehr wuchs der Ärger. Über sich selbst. Über die Situation, die ohnehin bizarr genug war. Die er mit seinem Verhalten verschlimmerte. Was suchte er? Das wusste er nicht. Nichts Bestimmtes. In dem Haus war alles so, wie er sich das in etwa vorgestellt hatte. Die materiellen Überreste von hundert Jahren provinzieller Industriedynastie; am Ende des Jahrhunderts war es steil bergab gegangen, das konnte man nicht übersehen. Das Haus bot keine Überraschungen.
    Bis auf den Keller.
    Der war die letzte Station seines Rundgangs. Neben dem Heizungskeller gab es noch mehrere große Räume. Einer enthieltGerümpel und Regale voller Einmachgläser. Alle leer. Die Frau Leupold hatte die Lust am Einkochen von Obst schon lang verloren. Warum, wurde klar, als er einen anderen Kellerraum betrat. Frau Leupold stellte jetzt wohl anderes her: In der Mitte ein schwerer Tisch, an dem ein Dutzend Personen Platz gehabt hätten, nur gab es keine Stühle. Auf dem Tisch Glasapparaturen, Flaschen, Schraubgläser, eine Küchenwaage, ein Mikroskop. An den Wänden Schränke, in einem Putzzeug, Feuerlöscher und ein weißer Arbeitsmantel, im anderen auf Stellagen vielfarbige Plastikbehälter mit Schraubdeckeln und Etiketten mit kurzen Bezeichnungen, aus Buchstaben und Zahlen, die Schott nichts sagten.
    Ein Labor. Die Frau Professor Leupold betätigte sich also auch in ihrer Pension als Chemikerin. Hatte sich betätigt. Und war dabei nicht, wie es der gemeinen Erwartung entspräche, in die Luft geflogen, sondern ganz ordinär vom Tisch gefallen. Beim Glühbirnenwechseln. Die Chemie war nicht so gefährlich, wie man glauben mochte. Die Dinger auf dem Tisch sahen harmlos aus. Nirgendwo brodelten giftfarbene Flüssigkeiten, keine geheimnisvollen Dämpfe quollen aus gläsernen Röhren, die Apparaturen waren alle leer und blitzblank. In der Luft lag ein Hautgout aus Lackverdünner und einem Putzmittel mit etwas zu aufdringlichem Zitronenaroma.
    Und noch etwas gab es, das ihm nur auffiel, weil es nicht herpasste. Eine geblümte Plastikmappe auf einer Ecke des Labortischs. Mit Reißverschluss. Der stand offen, man hätte ihn zuziehen können. Mit Mühe, die Mappe war vollgestopft.
    Mit Geld.
    Schott nahm die Tasche, trug sie zu dem kleinen Schreibtisch an der linken Wand und schüttete sie aus. Alles Hunderter und Fünfziger, auch ein paar Zwanziger. Sonst war nichts drin. Nur Geld. Er setzte sich. Das meiste in Bündeln verschiedener Stärke, mit farbigen Gummiringen zusammengehalten.Hunderttausende. Ganz grob, vielleicht mehr. Er legte alles aufeinander, unten die Gummiringbündel, die dicken zuerst, dann die dünneren, obenauf die Einzelscheine. Wenn man das Geld so ordnete, war es gar nicht so viel, volumetrisch. Ein kleiner Stoß. Die Tasche hatte nur so voll ausgesehen, weil jemand Scheine und Bündel ohne Plan hineingestopft hatte. In der Eile. Oder weil derjenige ein schlampiger Mensch war. Schott war nicht schlampig. Alles hatte in seiner Kleidung Platz. Die Bündel steckte er unters Hemd in den Gürtel, schnallte ihn um ein Loch enger. Die Einzelscheine brachte er im Jackett und den Hosentaschen unter. Als alles verstaut war, fiel ihm auf, dass er seine Geldbörse gar nicht verwendet hatte. Es ging eben auch so, wenn man sich ein bisschen Mühe gab. Der Gürtel spannte. Ich sollte unbedingt fünf Kilo abnehmen, dachte Schott. Der Kater übrigens auch. Ein fettes Tier. Der Kater Sami stand wieder in der Tür und schnurrte.
    »Mit der Fresserei ist jetzt Schluss«, sagte Schott und drohte dem Tier mit wackelndem Zeigefinger, während er sich vom Schreibtisch der verblichenen Frau Leupold erhob. Sami gab ein krähendes Geräusch von sich, das man nach Belieben als Zustimmung, Einwand oder skeptischen Kommentar deuten konnte, im Sinne von: Wir werden ja sehen. So fasste Schott die Äußerung des Katers

Weitere Kostenlose Bücher