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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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ab und zu »Ach?« oder »Tatsächlich?« sagen oder »Aha«. Das rührte Schott. Er setzte sich aufs Sofa und begann zu weinen. Leise, wie gehemmt, die Tränen kullerten ihm aus den Augenwinkeln, die Nase lief voll, so dass er sich schneuzen musste. Er nahm das Geld in die Hände, die Büschel, die Einzelscheine, fuhr mit dem Daumen über den Schnitt der Bündel. Alles zerknittert, schon lang im Umlauf. Das liebe, arme Geld. Jetzt war es endlich zu ihm gekommen nach so vielen Jahren. Das Geld selber.
    Er durfte jetzt nur keinen Fehler machen. Etwa zählen. Zählen war ganz schlecht; alle Probleme, die man mit Geld haben konnte, begannen mit dem Zählen, bittere Erfahrung hatte ihn das gelehrt.
    Wenn die Leute zu wenig Geld hatten, waren sie gezwungen zu zählen, und, als Erweiterung, zu rechnen. Wenn sie durch glückliche Umstände dann etwas mehr hatten, hätten sie damit aufhören können, mit dem Zählen und Rechnen, aber das taten sie nicht. Sie zählten und rechneten weiter, nur mit neuen Begriffen. Zins und Rendite. Denn das Grundgesetz des Geldes, dass es immer zu wenig ist, bleibt in Kraft, unabhängig von der Summe. Und wie stellt man fest, dass es zu wenig ist? Man zählt es. Die einen zählen das Geld, das sie haben, die anderen zählen das Geld, das sie nicht haben. Aber haben könnten, wenn sie diese und jene Anlage tätigten. Mit dieser und jener Rendite. Wenn es schiefging, fielen sie in die erste Gruppe zurück; wenn es glückte, begannen sie sofort wieder zu zählen und zu rechnen.
    »Man nennt das Gier, Sami, hast du das gewusst?«
    Sami leckte sich das Mäulchen, dann setzte er sich auf dieHinterbeine und schaute, den Kopf leicht schief geneigt, auf Schott.
    »Ein moralischer Begriff, ein vollkommener Unsinn! Das Geld selber ist der Auslösereiz. Es bringt die Leute zum Zählen. Wie sie der Alkohol zum Trinken bringt. Sobald sie das tun, ist die Misere unvermeidlich. Eine Sucht, verstehst du, eine Fehlsteuerung, ausgelöst durch die Substanz selbst! Was hat das mit Moral zu tun? Nichts! Ebenso könnte man sagen, das Vergiftetwerden des Organismus durch Zyankali ist eine Sünde!« Er begann zu lachen. Sami wich einen Viertelmeter zurück.
    »Bist du so schreckhaft, Sami? Frau Leupold hat wohl nicht viel gelacht … ich auch nicht, Sami, ich auch nicht. Bis vor einer halben Stunde. Nun, was wird dein neues Herrchen mit dem vielen Geld machen, was glaubst du, Kater?«
    Sami gab ein Maunzen von sich, kaum hörbar.
    »Du weißt es nicht? Hast du nicht zugehört? Ach ja, du warst am Fressen … das ist schon richtig, man soll sich bei der Nahrungsaufnahme nicht ablenken lassen, das führt nur zu Magenbeschwerden. Der Herr Schott – oder für dich: Schott, der Herr? – jedenfalls wird es dieser Herr nicht auf die Sparkasse tragen, das Geld, weder auf eine hiesige noch eine in der Schweiz, um es zu vermehren, weil es natürlich, wir haben das erörtert, zu wenig ist. Es würde auch nach beliebig langer Zeit immer noch zu wenig sein. Nein, Schott wird das mit dem Geld tun, was all diese Finanzgurus und Wirtschaftswissenschaftler aus dem Fernsehen fürchten wie der Teufel das Weihwasser: Er wird es unter die Matratze stopfen und nach und nach ausgeben! Davon leben, verstehst du, Sami? Denn das ist der Zweck des Geldes. Dass man davon lebt.«
    Er holte aus der Küche einen Plastiksack der örtlichen Supermarktkette »Sutterlüty« und stopfte Bündel und Scheine hinein.
    »Das mit der Matratze war natürlich nur bildlich«, sagte erzu Sami, der das finanzwissenschaftliche Privatissimum als beendet ansah und in der Diele an der Eingangstür wartete.
    »Ja, ich weiß«, sagte Schott, »du hast noch andere Verpflichtungen.« Er ließ den Kater hinaus.
    In diesem Augenblick glaubte Schott an all das, was er dem Kater Sami erklärt hatte. Und verschiedene andere Dinge, die nicht erwähnt wurden, glaubte er auch, nahm sie als selbstverständliche Voraussetzungen, die keiner Erörterung oder Überlegung bedurften. Dass ihn zum Beispiel das weitere Schicksal der Frau Leupold nichts anging. Irgendwer würde Frau Leupold finden, auf keinen Fall Schott, da hatte er recht. Nur, weil er schon so lange allein lebte, neigte er zu verschrobenen Auffassungen über die Wirklichkeit; zum Beispiel der, es werde niemand das Geld vermissen. Weil Frau Leupold allein gelebt hatte, dachte Schott, der Einfluss anderer Menschen auf ihr Leben sei so gering wie auf sein eigenes. Der war tatsächlich sehr gering gewesen, der

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