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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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auf.
    »Ja, wir werden sehen, Kater!«, sagte er. »Wir gehen interessanten Zeiten entgegen.«
    Er löschte das Neonlicht und verließ den Raum, den Keller und das Haus. Draußen war es dunkel. Schott zog die Tür hinter sich zu, der Kater war schon vor ihm hinausgeschlüpft. Der Kater ging voran. Erst die Einfahrt, dann die Straße, endlich der weit kürzere Weg zum Schott’schen Einfamilienhaus. Sami, der Kater, schien zu wissen, wohin die Reise ging.
    Als Schott in seinem eigenen Wohnzimmer saß, nachdem er Jacke und Schuhe ausgezogen, dem Kater eine Untertassemit aufgeschnittener Lyoner Wurst in der Küche hingestellt und damit den neuen Fressplatz festgelegt hatte; nachdem er endlich die Geldbüschel aus der Hose genestelt und auf dem Couchtisch aufgetürmt hatte – da erst kam ihm der Gedanke, ob er nicht vielleicht verrückt geworden sei, aber schon komplett verrückt, nicht nur so »borderline«, oder wie das hieß. Er war in ein fremdes Haus eingedrungen und hatte im besagten fremden Haus einen Haufen Geld gestohlen. Und er würde, damit das klar ist!, jeden verdammten Cent davon behalten. Er brauchte das Geld. Jeden einzelnen Cent davon. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Buchstäblich. Wenn es diese anderen Fälle gab, wo jemand zur falschen Zeit am falschen Ort war und von einer – was weiß ich: Straßenwalze überfahren wird, dachte er, dann muss es zum Ausgleich auch Fälle wie meinen geben, wo man dem Gegenteil einer Straßenwalze begegnet. Dem Glück. Frau Leupold hatte für das Geld keine Verwendung mehr. Er aber schon. Am Rande seines Bewusstseins tauchten Fragen auf, woher die Frau Leupold dieses Geld hatte, wie es mit dem Labor zusammenhing, aber er verscheuchte sie.
    »Schluss!«, rief er in sein leeres Haus, »das hat später noch Zeit …«
    Der Kater Sami sah von seinem ungewohnten Fressen auf, dem er sich mit der Vorsicht des gehobenen Individualtouristen widmete, der zum ersten Mal in seinem Leben in einem garantiert authentischen Lokal einer abgelegenen Provinz irgendwo in Asien »tschong feng« (so hatte es sich angehört) probierte, ohne auch nur zu wissen, ob »tschong feng« tierischen oder pflanzlichen Ursprungs war. Das Aussehen lieferte keinen Hinweis. Sami hatte ein Wursträdchen vom Teller gezogen und eine Ecke angenagt.
    »Hast du wirklich noch nie Wurst gekriegt?«, fragte Schott. »Ich hab jetzt halt nichts anderes da. Du musst dich schonbis morgen gedulden für richtiges Katzenfutter.« Sami schien sich mit dieser Äußerung zufriedenzugeben und riss mit einem gewissen Fatalismus ein weiteres Stück Lyoner ab. Komischer Geschmack, aber es würde einen nicht umbringen, wenn man das einmal probierte.
    Schott erinnerte sich an einen Sack mit Katzenfutter im Heizraum, die Aufschrift hatte er nicht beachtet, nur das aufgedruckte Bild einer zufriedenen Katze; er würde experimentieren müssen, welche Marke Sami konvenierte, heikel schien er nicht zu sein. Schott wusste von Bekannten, dass Katzen ungeheuer stur sein konnten, was Fress- und sonstige Gewohnheiten betraf.
    Sami, das war klar, war nicht stur. »Ich bin auch nicht stur«, sagte Schott, »ich bin flexibel. Muss ich auch sein, was meinst du?«
    Der Kater blickte vom Unterteller auf. Er war schon beim zweiten Scheibchen.
    »Sieh mich an: Ich rede in meinem leeren Haus mit einer fremden Katze, pardon: einem Kater, und zwar laut. Wenn man das macht – laut reden ohne andere Menschen –, hat man ein Problem. Aber wenn ein Tier da ist, ist es in Ordnung. Daran kannst du sehen, wie beliebt ihr seid.«
    Sami verschlang die zweite Lyoner-Scheibe.
    »Man darf einfach nicht erstarren«, sagte Schott, »das ist die größte Gefahr in dieser Situation, dass man starr wird – nicht mehr auf Änderungen reagiert. Das ist der Anfang vom Ende. Ein starrer Mensch hätte das Geld nicht genommen – ach was: So einer hätte dich gar nicht beachtet, der hätte dich draußen herumjammern lassen, die ganze Nacht, der hätte es nicht einmal gemerkt! Verstehst du, was ich meine?«
    Sami nahm sich die dritte Scheibe Lyoner Wurst. Er schien zu verstehen, dass die Frage rhetorisch war, dass keine Antwort erwartet wurde. Ab und zu blickte er vom Futter auf undSchott an. Der war verstummt. Er schaut aus Höflichkeit, ging es Schott durch den Kopf; es interessiert ihn nicht, natürlich nicht, wie könnte es auch? Aber er schaut mich an, solang ich rede, um auszudrücken, dass er mir zuhört. Wenn er sprechen könnte, würde er

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