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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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kaputt, durchwühlt?«
    »Nein. Nur das Geld war weg. Den weißen Kater hab ich auch nirgends gesehen …«
    »Sami.«
    »Wie auch immer … wenn es kein professioneller Einbrecher war, dann eben ein Nicht-Profi, ein Amateur … lass mich überlegen … ein zufälliger Besucher …«
    »Der etwas wollte von der Frau Leupold!«
    »Ja, das könnte sein. Aber reingekommen ist er nicht vorne, die Haustür ist abgeschlossen, das hab ich überprüft.«
    »Dann muss es jemand sein, der von der hinteren Tür weiß …«
    »Er muss sogar noch ein bisschen mehr wissen. Nämlich, dass die Frau Leupold die hintere Tür offen lässt …«
    »Jemand, der sie gut kennt. Dass die Hintertür offen ist, haben nicht einmal wir gewusst.«
    »Ein Nachbar kann es jedenfalls nicht sein …«
    »Nein, die hatte ja keinen Kontakt. Zu niemandem. Hochnäsig wie sonst was. Es muss jemand Nahestehender sein …«
    »Der Enkel! Dieser Nichtsnutz, wie heißt er … mit dem affigen Namen …«
    »Manfredo … glaub ich. Aber dem gehört das Geld doch sowieso.«
    »Warum?«
    »Das ist doch der Erbe …«
    »Mag sein. Ich kenn ihr Testament nicht. Bevor es aber eine Testamentseröffnung gibt, müsste die Erblasserin erst einmal offiziell gestorben sein, meinst du nicht?«
    »Unbedingt. Offiziell. Mit Totenschein und so.«
    »Das ist aber kaum möglich, wenn sie noch im ersten Stock liegt,genau an der Stelle, wo der Tod sie ereilt hat. Dieser Manfredo hat sich das Geld genommen und die Oma einfach liegen lassen.«
    »Warum macht er so was?«
    »Vielleicht hat sie ihn enterbt. Er hat es gewusst und sich genommen, was eben dalag …«
    »Das erklärt aber nicht, warum er den Tod der Großmutter nicht gemeldet hat – von dem Geld hat doch keiner was gewusst, das hätte er doch auch so einstecken können …«
    »Das ist die große Frage: Warum hat er die Großmutter einfach liegen lassen?«
    »Was machen wir jetzt? Sollen wir die Polizei rufen?«
    »Wieso denn? Was geht uns das Ganze an?«
    »Aber wir sind doch beide schon dort gewesen …«
    »Eben. Willst du das der Polizei erzählen? Warum haben wir so lang gezögert? Um rumzuspionieren? Eventuell was mitgehen zu lassen? Nein, nein, für die Polizei ist das zu spät, dann hätten wir es gleich melden müssen. Außerdem: Mich interessiert schon, warum dieser Manfredo sich so komisch verhält – wir warten erst einmal ab und schauen, was passiert.«

    *

    Es wäre alles ganz anders gekommen, wenn sich Manfredo auf der Fahrt von Wien nach Vorarlberg nicht verspätet hätte. Schuld war der Straßenzustand in Tirol. Dann wäre Manfredo Gonzales Leupold nämlich entscheidende Minuten vor Schott mit der Frau Dr. Leupold konfrontiert gewesen. Der Kater, der Manfredo genauso gern mochte wie dessen Großmutter (mit dieser Marotte stand er unter allen Lebewesen, die beide kannten, allein) – der Kater Sami also hätte sich dem Enkel zugewandt und wäre nicht auf die Idee verfallen, den Nachbarn Schott auf die Kalamitäten in der Leupold-Villa aufmerksam zu machen. Dann wäre Schott nicht in die Dinge verwickeltworden, in die er nun verwickelt wurde, alles wäre ganz anders weitergegangen, wie, wissen wir nicht, anders halt. Aber so ist es nicht gewesen und schuld daran ist der Straßenzustand in Tirol, wo ein verfrühter Schneefall zum Langsamfahren vor dem Arlberg zwang, schuld war letzten Endes das Wetter; so dass wir mit dieser für alle Beteiligten befriedigenden Lösung die Schuldfrage verlassen und uns wieder dem Enkel zuwenden dürfen, den wir fortan aus Gründen erzählerischer Ökonomie einfach Manfredo nennen wollen.
    Manfredo stürmte mit lauten »Oma!«-Rufen in den ersten Stock, nachdem er die Haustür aufgeschlossen hatte. So war seine Art, arglos und offen. Er liebte es, sich anzukündigen. Laut. Er liebte es überhaupt, sich zu äußern, das große Wort zu führen, den Mittelpunkt jeder Gesellschaft zu bilden, und so weiter. Er war extrovertiert, um das Mindeste zu sagen. Menschen, die ihm gewogen waren, hielten ihn für interessant-exzentrisch, alle anderen (sie waren bei weitem in der Überzahl) für eine Nervensäge.
    Oma antwortete nicht, von Sami auch keine Spur. Manfredo hängte den Kamelhaarmantel an die Garderobe, entledigte sich der Stiefel aus einem Wiener Innenstadtgeschäft, die für das Sauwetter eigentlich zu schade waren, aber gut aussahen, überprüfte im Garderobenspiegel den Sitz der Seidenschalkrawatte (mauve) und seines Haars (blond, dicht)

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