Das unsichtbare Buch
»Das ist unglaublich!«
»Ja, hab ich dir doch gleich gesagt«, antworte ich und mache mich wieder über mein Eis her.
»Magst du es denn nicht? Interessiert es dich gar nicht?«, fährt sie mich plötzlich an, als könne sie es nicht fassen.
»Natürlich mag ich es«, sage ich und schiebe mir die Kirsche in den Mund.
»Ich meine das Buch, nicht das Eis!«
»Also wirklich, kein Grund sich gleich so aufzuregen«, antworte ich abwehrend.
»Dann pass auf und hör zu:
Doch eines Tages schließlich stolperte Hanna, die Tochter des Königs Ignacius,über das Buch und fiel eine Treppe hinunter.
›Was war das?‹, fragte sie sich überrascht.
Sie suchte den Boden ab, hob den Teppich hoch, doch sie sah nichts.
›Seltsam!‹, murmelte sie. ›Ich könnte schwören, ich wäre über irgendetwas gestolpert.‹
Überzeugt davon, dass irgendein Gegenstand sie zu Fall gebracht hatte, fuhr sie mit der Hand über den Boden, bis …
›Was ist denn das? Es scheint ein Päckchen … oder ein Kistchen zu sein …‹
Vorsichtig hob sie den merkwürdigen Gegenstand auf und hielt ihn in beiden Händen.
›Was das wohl sein mag?‹, fragte sie sich neugierig. ›Es ist nicht schwer, und groß ist es auch nicht. Und es fühlt sich so angenehm an …‹
Prinzessin Hanna fühlte sich seltsam angezogen von dem unbekannten Ding und beschloss, nicht eher zu ruhen, bis sie herausgefunden hätte, was es war. «
Lucía hört wieder auf zu lesen. Nach einem weiteren Löffel Vanilleeis mitSchokolade hebe ich den Kopf. Ihr Gesicht hat einen Ausdruck, den ich noch nie bei ihr gesehen habe. Sie ist so verzaubert von der Geschichte, dass sie fast … Ja, tatsächlich, sie sieht richtig hübsch aus.
4
D as Eis gestern war einfach herrlich.
Obwohl Lucía ein bisschen sauer war, weil ich mich nicht für die Geschichte des unsichtbaren Buches interessiert habe, war es ein sehr schöner Nachmittag. Auch wenn Lucía alles alleine gelesen hat und ich beinahe auch noch ihr Eis essen musste.
Als ich gestern Abend nach Hause gekommen bin, habe ich die Seiten auf Papas Schreibtisch zurückgelegt … Niemand hat etwas gemerkt.
Ehrlich gesagt, die Geschichte ist ziemlich merkwürdig. Ich weiß nicht, wie einer auf die Idee kommt, ein unsichtbares Buch zu schreiben, das niemand liest. Wozu soll es gut sein, wenn es niemand sehen kann?
Das Eis dagegen konnte man sehr gut sehen. Es hat vor mir gestanden, darangab es keinen Zweifel. Ich konnte es berühren … und essen!
Ich glaube, eine Eisdiele ist der richtige Ort, um Geschichten über unsichtbare Bücher zu lesen … oder über was auch immer.
Lucía war heute nicht in der Schule. Komisch. Vielleicht ist ihr von dem Eis schlecht geworden. Die Becher waren wirklich sehr groß.
Irgendwie habe ich sie vermisst. Ich habe mich fast gelangweilt ohne sie. Ja, ja, ich weiß, es ist kaum zu glauben.
»Wie war’s heute in der Schule?«, fragt mich mein Bruder auf dem Nachhauseweg.
»Gut … normal«, antworte ich. »Heute hat mich niemand geärgert … Hör mal, Javier … glaubst du an Dinge, die man nicht sehen kann?«
»Du etwa nicht?«, fragt er wie aus der Pistole geschossen.
»Du schon?«, frage ich erstaunt.
»Du bist bestimmt der einzige Mensch, der nicht an unsichtbare Dinge glaubt«, stellt er fest.
»Quatsch! Unsichtbare Dinge gibt es nicht.«
»Ach nein? Es gibt keine Kobolde? Und Feen? Und Zauberer?«
Jetzt hat er mich auf dem falschen Fuß erwischt! Daran hatte ich nicht gedacht.
»Ich rede aber von Gegenständen … von Büchern zum Beispiel. Kann es unsichtbare Bücher geben?«
»Mann, wenn sie unsichtbar sind, kann man ja nicht wissen, ob es sie gibt … Aber ich glaube, ja … Verstehst du?«
»Verstehe«, sage ich resigniert.
»Genau das meine ich.«
Jetzt glauben plötzlich alle an unsichtbare Dinge, nur ich nicht. Anscheinend leben wir in einer Welt, die voll ist von Dingen und Personen, die man nicht sehen kann.
»Soll ich dir was sagen?«, fragt mich Javier mit seinem unschuldigsten Gesicht.
»Nur zu«, antworte ich ganz ruhig. »Was du willst.«
»Werd nicht gleich sauer, César, aber ich glaube, du bist ein bisschen dumm.«
»Was?« Mir bleibt die Spucke weg.
»Na ja, nicht viel, nur ein bisschen«, sagt er kleinlaut und blickt an mir vorbei ins Leere.
Echt, genau wie ich schon lange vermutet habe: Es gibt Dinge an mir , die unsichtbar sind.
»Du meinst also, ich bin dumm, weil ich nicht an unsichtbare Dinge glaube?«, frage ich ihn
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