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Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diethelm Kaminski
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alle Freier werfen, die ihre unlösbaren Aufgaben nicht lösen
konnten. Anschließend stand sie am Fenster und weidete sich an den Todesqualen
der Bestraften. So verbarg sie ihre Trauer um den einzigen Mann, den sie jemals
geliebt, und den einzigen Mann, der sie jemals verschmäht hatte. Angalep aber
ernannte sie zum Königlichen Wesir, um ihm möglichst nahe zu sein.

Begrüßungen
     
     
     
    Fröhlich und voller Tatendrang springt
Fabian aus dem Bett. „Guten Morgen, junger Tag“, ruft er, aber der junge Tag antwortet
mürrisch: „Was soll diese übertrieben fröhliche Begrüßung? Leg dich wieder hin,
schlaf noch ´ne Runde, du störst nur die morgendliche Stille.“
    Fabian legt
sich hin, wie ihn der junge Tag geheißen, und schläft auch wieder ein.
    Als er
aufwacht, ist er vorsichtiger, er quetscht ein halbwegs freundliches „Tag auch,
junger Tag“ aus sich heraus.
    „Was soll das
Geschleime?“, antwortet der junge Tag. „Jung bin ich schon lang nicht mehr, das
sieht doch jeder, nur du Morgenverpenner nicht.“
    Trotz der
doppelten Abfuhr, die Fabian sich geholt hat, nimmt er sich vor, auch weiterhin
freundlich zu sein.
    „Schön, dich
wiederzusehen, lieblicher Abend“, ruft er aus, als er am späten Nachmittag aus
der Stadt zurückkehrt.
    „Was soll
lieblich an mir sein?“, erhält er als Antwort. „Dieses hässliche Zwielicht,
diese dämliche Dämmerung, dieser überschminkte Sonnenuntergang. Und zu allem
Überfluss auch noch deine verlogenen Komplimente.“
    Nachdem Fabian
gegessen, seine Mails abgerufen und die Tagesschau gesehen hat, öffnet er das
Wohnzimmerfenster, blickt hinaus und ruft freudig aus:
    „Willkommen,
Göttin der Nacht, schenk mir einen sanften Schlaf.“
    „Bist du total
übergeschnappt? Ich und eine Göttin? Und wieso soll ich dir was schenken?“,
poltert die Nacht. „Mir schenkt doch auch keiner was. Nimm ´ne Schlaftablette,
dann hast du deinen sanften Schlaf. Von mir gibt es nix. Jedenfalls nicht
umsonst.“
    Fabian langt
es. Schweigend steht er morgens auf, schweigend geht er durch den Tag,
schweigend kehrt er abends in seine Wohnung zurück. Ab und an hört er, wie Tag
und Nacht miteinander tuscheln.
    „Was halten
Sie von dem Typ da in der Lessingstraße 7, Madame? Nicht mal grüßen kann er.
Keinen Anstand besitzen die Leute heutzutage. Was meinen Sie, sollen wir ihm
einen tüchtigen Schreck einjagen?“
    „Und wie,
Monsieur Tag, und wie?“
    „Ich erscheine
morgen einfach nicht zur Ablösung, dann bleibt es 24 Stunden lang zappenduster.
Sind Sie einverstanden, Madame?“
    „Meinetwegen“,
flüstert die Nacht. „Aber nur dieses eine Mal, um dem unerzogenen Burschen
einen Denkzettel zu verpassen. „Ich möchte nicht auf Dauer Ihre Schicht mit
übernehmen.“
    Als Fabian
wach wird, ist es stockfinster. Er wirft einen Blick auf die Leuchtziffern der
Radiouhr. Es ist 22 Uhr. Wie kann das sein? Er ist am Sonntag kurz vor
Mitternacht ins Bett gegangen. Vielleicht ist der Wecker verstellt. Er ruft die
Uhrzeit auf dem Handy ab. Kein Zweifel: Es ist 22 Uhr. Was ist denn heute
für ein Tag? ‚Montag‘ geben Wecker und Handy übereinstimmend Auskunft. Fabian
hätte um spätestens neun Uhr auf seiner Arbeitsstelle bei Professor Nerviter
sein müssen. Verdammt, warum ist er nicht wach geworden? Er hatte extra die
Vorhänge nicht zugezogen, um sich von der Sonne wachküssen zu lassen. Weder
Wecker noch Sonne haben ihn geweckt. Er ist enttäuscht. Was heißt enttäuscht?
Er ist echt sauer. Ab sofort wird er auch seinem Wecker den Gruß verweigern. Da
kann der noch so wimmern und betteln.

Der richtige Riecher
     
     
     
    „Das habe ich gerochen“ sagen manche
Menschen, wenn sie ein Unheil haben kommen sehen, es aber nicht verhindern
konnten. Hinterher, wenn es zu spät ist, kann sich jeder mit seinen
hellseherischen Fähigkeiten großtun. Niemand kann das Gegenteil beweisen.
    Urban Panicky
tat sich nie groß, obwohl er eine ungewöhnlich empfindliche Nase besaß, die jedes
Unheil, ob klein oder groß, im Umkreis von fünfhundert Meilen im Voraus
registrierte. Kurz bevor eine kostbare Vase zu Bruch ging, irgendwo das Essen
anbrannte, ein Auto gegen die Garagentür krachte oder ein herabfallender
Dachziegel einen arglosen Passanten traf, begann Urbans Nase heftig zu jucken.
Und wenn er nieste, wusste er: Es war wieder etwas geschehen. Einmal niesen:
ein harmloser Zwischenfall, zweimal niesen: etwas Ernsthafteres, dreimal
niesen: ein Unglück. Öfter hatte er noch nie

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