Das unsichtbare Volk
Obergärtner zu sich, damit er sie über die Blumenwiese
informiere.
„Sagt, wie
viele verschiedene Blumen und Kräuter habt Ihr auf der Wiese dort aussäen
lassen? Was zögert Ihr? wisst Ihr´s oder wisst Ihr´s nicht?“
„Ich kann Euch
sagen, wie viele verschiedene Arten meine Gärtner im Frühjahr ausgesät haben,
aber das wird Euch nicht weiter helfen, denn Ihr wollt sicherlich wissen, wie
viele verschiedene Arten jetzt auf der Wiese wachsen.“
„Das will ich.
Und wo liegt das Problem? Macht es kurz, und stehlt mir nicht meine Zeit“,
sagte Prinzessin Pelegrina unwillig.
„Das Problem
ist die Veränderbarkeit. Vögel und Insekten und nicht zuletzt der Wind tragen
Samen hin und her, manche Pflanzen sterben ab, weil der Boden ihnen nicht
bekommt. Obendrein gibt es Früh- und Spätblüher. Die Wiese verändert sich
unaufhörlich. Angenommen, ich würde heute die Arten auf der Wiese zählen,
müsste ich diese Zahl schon kurz darauf korrigieren.“
„Faule
Ausrede“, murrte die Prinzessin. „Ich erwarte bis morgen bei Sonnenaufgang die
genaue Zahl. Habt Ihr mich verstanden?“
Der Königliche
Obergärtner nickte unterwürfig, was blieb ihm auch anderes übrig, wollte er
nicht sein Leben verlieren.
Die Prinzessin
beauftragte die Plakatschreiber mit der Ausfertigung ihrer neuen Aufgabe und
die königlichen Reiterkuriere mit deren schneller Verbreitung.
Nicht lange
danach fühlte sich die Prinzessin elend und sterbenskrank. Es war ihr unmöglich
aufzustehen. Ihre Glieder waren schwer wie Blei, Kopf und Nacken waren steif
und schmerzten, und im Kopf fühlte sie eine entsetzliche Leere.
Kein Arzt
konnte ihre helfen, nicht einmal ihre Schmerzen lindern.
Die Prinzessin
fühlte sich zu schwach, die neuen Freier zu empfangen. Sie ließ deshalb die
geschätzten Zahlen der Pflanzen auf der Blumenwiese mit der vom Oberhofgärtner
behaupteten Artenzahl vergleichen. Ausnahmslos alle Zahlen lagen weit unter der
Angabe des Obergärtners. Das war Prinzessin Pelegrina nur recht. Es wurde immer
gewisser, dass es unmöglich war, die richtige Zahl herauszufinden.
Sie wollte die
Bewerbungsrunde schon für abgeschlossen erklären, da wurde ihr ein Mann namens
Angalep gemeldet, der dringend um eine Audienz bat.
„Er soll seine
Zahl abgeben und schnell verschwinden.“
„Es handelt
sich um keinen Freier. Angalep ist unser neuer Gärtner. Er sagt, er vermag Euch
von Eurer schweren Krankheit zu heilen“, sagte der Wesir.
„Ein
gewöhnlicher Gärtner?Was fällt ihm ein? Ist er sich darüber im klaren, was ihm
blüht, wenn er den Mund zu voll genommen hat?“
„Er weiß sehr
wohl, dass sein Leben auf dem Spiel steht, aber er scheint sich seiner Sache
vollkommen sicher zu sein“, sagte der Wesir.
„Dann führt
ihn zu mir.“
Die Prinzessin
glaubte zu träumen: was für ein stattlicher junger Mann! Pelegrina verliebte
sich augenblicklich in seine klugen Gesichtszüge und seine edle Gestalt.
Umgehend
erteilte sie dem Wesir den Auftrag, im ganzen Reich die alten Aushänge gegen
neue auszutauschen. „Wem es gelingt, Prinzessin Pelegrina von ihrer schweren
Krankheit zu heilen, den nimmt sie zum Gemahl. Er soll als zukünftiger König an
ihrer Seite regieren.“
Sie zweifelte
keine Sekunde daran, dass Angalep als Einziger diese Bedingung erfüllte. Ihren
Vater würde sie schon von der Richtigkeit ihrer Wahl überzeugen.
„In Eurem
Palastgarten wachsen alle Heilkräuter, die für Eure Heilung vonnöten sind“,
sagte Angalep. „Nicht auf die Zahl kommt es an, sondern auf die richtige
Zusammenstellung. Trinkt den Aufguss aus diesen Blättern, und Ihr werdet
vollständig gesunden.“
Die Prinzessin
tat wie ihr geheißen und fühlte sich kurz darauf so gestärkt und voller
Lebenskraft, dass sie am liebsten sofort die Hochzeit mit dem schönen Gärtner
bekannt gegeben hätte.
„Zur Belohnung
dafür, dass Ihr mich von meiner schweren Krankheit geheilt habt, werde ich Euch
zum Mann nehmen und Ihr werdet König sein.“
„Ich muss Euch
enttäuschen, Prinzessin“, sagte Angalep. „Ich kam nicht, um Euch zu freien,
sondern um Euch zu heilen. In Allahs Garten wachsen viele schöne Blumen, und
die schönste unter allen habe ich bereits gepflückt. Ich bin rundum glücklich
mit meiner Gärtnerin. Auch ohne eigenes Königreich.“
Noch in der
Nacht ließ Prinzessin Pelegrina die Blumenwiese des Palastgartens niederwalzen
und stattdessen Dornenhecken und Kakteen anpflanzen. In dieses dichte Gestrüpp
ließ sie fortan
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