Das unvollendete Bildnis
Williams war sehr tüchtig, aber selbst sie musste zugeben, dass sie Angela nicht gewachsen war.»
Er hielt inne, und Poirot sagte: «Als ich mich erkundigte, ob Amyas das Kind gern gehabt hatte, meinte ich eigentlich sein eigenes Kind, seine Tochter.»
«Ach, Sie meinten die kleine Carla? Ja, die war sein Liebling. Wenn er gerade dazu aufgelegt war, spielte er sehr gern mit ihr. Aber seine Gefühle für sie hätten ihn nicht davon abgehalten, Elsa zu heiraten, wenn Sie das meinen. So groß war seine Liebe zu dem Kind nun auch wieder nicht.»
«Hing Caroline sehr an ihrem Kind?»
Blakes Gesicht verzog sich krampfartig.
«Ich kann nicht abstreiten, dass sie eine gute Mutter war. Nein, das kann ich nicht.» Er sprach nun langsam, stockend weiter: «Das schlimmste für mich bei der ganzen Sache ist der Gedanke an dieses Kind. Was für eine tragische Basis für ihr junges Leben. Man schickte sie ins Ausland zu Verwandten von Amyas, und ich hoffe, dass sie ihr die Wahrheit vorenthalten konnten.»
Poirot sagte kopfschüttelnd: «Die Wahrheit, Mr Blake, hat die Eigenschaft, sich auch noch nach vielen Jahren durchzusetzen. Im Interesse der Wahrheit möchte ich Sie jetzt um etwas bitten, Mr Blake.»
«Was denn?»
«Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einen genauen Bericht über alles, was sich in jenen Tagen in Alderbury abgespielt hat, abfassen könnten, ich meine, wenn Sie alle Einzelheiten des ganzen Mordfalles schriftlich niederlegen würden.»
«Aber lieber Freund, nach so langer Zeit! Ich kann mich doch gar nicht mehr an Einzelheiten erinnern.»
«Ich glaube doch.»
«Wirklich nicht.»
«Die Zeit bewirkt oft, dass man nebensächliche Dinge vergisst und nur die wichtigen behält.»
«Ach so, Sie wollen nur einen allgemeinen Überblick?»
«Das nicht. Ich möchte einen gewissenhaften, in die Einzelheiten gehenden Bericht über alle Geschehnisse und über alle Unterhaltungen, an die Sie sich erinnern können.»
«Und wenn ich mich dabei irre?»
«Machen Sie es, so gut Sie können.»
Neugierig blickte ihn Blake an.
«Aber wozu? Aus dem Polizeibericht können Sie doch alles viel genauer erfahren.»
«Nein. Mr Blake. Ich spreche jetzt vom psychologischen Gesichtspunkt aus mit Ihnen. Mich interessiert nicht eine Aufzählung der nackten Tatsachen; mich interessiert Ihre Auswahl der Tatsachen. Es gibt bestimmt Geschehnisse, Gespräche, die ich vergebens im Polizeibericht suchen würde.»
«Soll mein Bericht veröffentlicht werden?», fragte Blake scharf.
«Kein Gedanke. Er ist nur für mich bestimmt, er soll mir helfen, meine Schlüsse zu ziehen.»
«Und Sie werden ohne meine Erlaubnis nichts daraus zitieren?»
«Darauf können Sie sich verlassen.»
«Hm… aber ich bin ein sehr beschäftigter Mann.»
«Ich weiß, dass dieser Bericht viel Zeit und Mühe erfordert. Es wäre mir ein Vergnügen… Sie durch ein angemessenes Honorar zu entschädigen.»
Nach einer kurzen Pause meinte Blake:
«Danke nein, wenn ich es tue, tue ich es gratis.»
«Aber Sie werden es tun?»
Blake warnte:
«Ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, dass ich nicht für mein Gedächtnis garantieren kann.»
«Selbstverständlich.»
«Also, dann werde ich es sogar gern tun. Ich glaube, in gewisser Hinsicht schulde ich das Amyas Crale.»
7
H ercule Poirot war nicht der Mann, der Kleinigkeiten übersah. Seinen Überfall auf Meredith Blake hatte er sorgfältig vorbereitet. Er wusste, dass Meredith ganz anders behandelt werden musste als sein Bruder Philip. Ein Sturmangriff wäre bei ihm nicht angebracht, hier war eine Belagerung erforderlich. Poirot war sich klar darüber, dass er sich für die Bezwingung der Festung eine geeignete Einführung verschaffen musste, und zwar gesellschaftlicher, nicht beruflicher Art. Zum Glück hatte er im Laufe seiner Tätigkeit in vielen Grafschaften Freunde erworben, so auch in Devonshire. Als er bei Mr Meredith Blake vorsprach, konnte er mit zwei Briefen aufwarten: der eine war von Lady Mary Lytton-Gore, einer liebenswürdigen, zurückgezogen lebenden Witwe, der andere von einem pensionierten Admiral, dessen Familie schon seit vier Generationen in der Grafschaft ansässig war.
Meredith Blake empfing Poirot höchst erstaunt. Er hatte in den letzten Jahren schon oft feststellen müssen, dass sich die Welt völlig verändert hatte. Früher waren Privatdetektive Leute, derer man sich zur Überwachung der Geschenke bei großen Hochzeitsfeierlichkeiten bediente oder zu denen man – voll Scham
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