Das unvollendete Bildnis
für ein teuflisches Weib Caroline war. Eine zweite Möglichkeit wäre gewesen, zu ihr zu gehen, ihr zu sagen: ‹Ich weiß, was du vorhast. Aber ich sage dir, wenn Amyas oder Elsa an einer Koniinvergiftung stirbt, wirst du gehängt.› Dann hätte sie es sich überlegt. Oder ich hätte die Polizei anrufen können. Ich hätte vieles tun können… und stattdessen habe ich mich durch Merediths langweilige, vorsichtige Art beeinflussen lassen. Dieser alte Trottel hat noch nie in seinem Leben einen raschen Entschluss gefasst. Ein Glück für ihn, dass er der Älteste ist und das Gut geerbt hat. Wenn er je versucht hätte, Geld zu verdienen, hätte er Hals und Kragen verloren.»
«Sie hatten also nicht den geringsten Zweifel, wer das Gift entwendete?», fragte Poirot.
«Natürlich nicht. Ich wusste sofort, dass es Caroline gewesen war. Ich kannte sie doch nur zu gut.»
«Sehr interessant. Können Sie mir sagen, Mr Blake, was für eine Frau Caroline Crale war?»
«Sie war nicht die verfolgte Unschuld, als die sie bei der Verhandlung erschien», entgegnete Blake scharf.
«Was war sie denn?»
Blake hatte sich wieder gesetzt und antwortete ernst:
«Caroline war böse, durch und durch böse. Aber sie war reizvoll und süß und täuschte die Menschen. Sie hatte einen rührend hilflosen Blick, der an den Kavalier im Mann appellierte. So wie sie stelle ich mir Maria Stuart vor, süß und unglücklich und bezaubernd – in Wirklichkeit aber ein kaltes, berechnendes Weib, das Intrigen spann, das die Ermordung Darnleys plante und sie ungestraft ausführte. Und so war auch Caroline: eine kalte, berechnende Intrigantin – und jähzornig dazu.
Ich weiß nicht, ob man Ihnen erzählt hat – es gehört an sich nicht zu dem Mord, war aber charakteristisch für sie –, was sie ihrer kleinen Schwester angetan hat? Sie war eifersüchtig. Ihre Mutter hatte sich wieder verheiratet und überschüttete das neugeborene Kind mit ihrer Liebe. Das konnte Caroline nicht ertragen. Sie versuchte, dem Baby mit einem Brecheisen den Schädel einzuschlagen. Zum Glück war der Schlag nicht tödlich – aber stellen Sie sich diese Gemeinheit vor!»
«Ja, unglaublich.»
«Da haben Sie die wahre Caroline. Sie musste immer die Erste sein, sie konnte es einfach nicht ertragen, jemanden vor sich zu sehen. Und ihr teuflischer Charakter machte sie zu allem fähig, sogar zu einem Mord. Sie schien lediglich impulsiv zu sein, aber in Wirklichkeit war sie berechnend. Als sie als junges Mädchen in Alderbury zu Besuch war, schätzte sie uns ab und schmiedete dann ihre Pläne. Sie war von Haus aus arm. So kam ich von vornherein nicht infrage – der jüngere Sohn, der sich sein Geld selbst verdienen muss. Komisch, dass ich heute Meredith und Crale, wenn er noch lebte, finanziell in die Tasche stecken könnte! Eine Zeit lang hatte sie ein Auge auf Meredith geworfen, aber schließlich entschied sie sich für Amyas. Er würde Alderbury erben, was ihn zwar nicht reich machen würde, aber sie hatte bereits erkannt, dass er ein ungewöhnliches Talent besaß, das ihm nicht nur Ruhm, sondern auch Geld einbringen würde. Und das traf dann auch ein. Schon in frühen Jahren wurde Amyas berühmt. Er war kein Modemaler, aber sein Genie wurde erkannt und seine Bilder gekauft. Kennen Sie seine Bilder? Ich habe eins. Schauen Sie sich’s an!»
Er führte ihn ins Esszimmer und deutete auf die linke Wand.
«Da, das ist Amyas!»
Poirot betrachtete das Bild schweigend. Er staunte einmal mehr, dass ein Mann ein so alltägliches Objekt mit einem so eigenen Zauber erfüllen konnte: eine Vase mit Rosen auf einem polierten Mahagonitisch – ein abgedroschenes Motiv. Aber wie diese Rosen lebten! Sie brannten und flammten, sie strahlten ein fast obszönes Leben aus, und selbst die polierte Tischplatte schien zu vibrieren. Wie konnte man die Erregung, die das Bild hervorrief, erklären? Denn es war aufwühlend.
Poirot stieß einen leichten Seufzer aus.
«Ja… da steckt alles drin.»
Blake führte ihn wieder ins andere Zimmer zurück und sagte:
«Ich verstehe nichts von Kunst, und ich weiß nicht, warum ich mir dieses Ding immer wieder anschaue. Es ist, verdammt noch mal, großartig.»
Poirot nickte nachdrücklich.
Blake bot seinem Gast eine Zigarette an:
«Und dieser Mann… der Mann, der diese Rosen malte… der Mann, der die ‹Frau mit dem Cocktailshaker› malte… der Mann, der die erstaunlich schmerzliche ‹Geburt Christi› malte, dieser Mann wurde in der Blüte
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