Das verborgene Netz
über Mitarbeiter einzuholen. Ja, nachdem Willert entlassen worden sei, habe das LfV die Gelegenheit genutzt, Herrn Schulz als dessen Nachfolger zu platzieren. Nein, Willerts Computer sei zu diesem Zweck nicht manipuliert worden. Ja, Herr Schulz habe ab einem bestimmten Zeitpunkt Frau Graf verdächtigt, an der vermuteten Spionage beteiligt zu sein.
Ja, nein, ja, ja, nein, dazwischen die nüchternen Fragen Andreles, die ihre graublonden Haare mit zu viel Haarfestiger
aufgetürmt hatte und ganz in Dunkelblau erschienen war. Sie stand mit dem Rücken zu Louise, eine stämmige Säule, die den Blick auf Kleinert verstellte.
Heute eine Säule, am Vortag ein Felsen.
Noch von zu Hause aus hatte Louise mit Rita Bermann telefoniert, die die Nacht in der Uniklinik verbracht hatte. Bermann war am späten Abend operiert worden, es hatte Komplikationen gegeben. Er lag noch im Koma, sein Zustand war kritisch. Am frühen Nachmittag würde er erneut operiert werden.
Louise tat sich noch immer schwer damit zu glauben, dass sich in Bermanns hartem Schädel ein Riss befand, der sein Leben bedrohte. Jahrelang hatte ihn die Aura der Unverletzbarkeit umgeben. Er war immer da gewesen, seit ihrem ersten Tag im Dezernat für Kapitalverbrechen, er würde immer da sein, etwas anderes war unvorstellbar.
Und doch waren das Kindergeschrei, das Hundegebell, die Fernseherstimmen verstummt, an ihre Stelle Ritas tränenerstickte Stimme und das Flüstern seiner Eltern im Hintergrund getreten.
»Alles hätte sich in Wohlgefallen aufgelöst«, sagte Henning Ziller und ließ das Insektenuhrband klicken, »wären uns nicht die Kripo Freiburg und namentlich die Kollegin Bonì in die Quere … «
»Dies ist nicht der geeignete Moment, um die Kompetenzen zu diskutieren«, unterbrach Andrele.
»Ein einziges Desaster!«, fuhr Ziller erregt fort. »Bonì fängt an zu ermitteln, und was passiert? Ein Suizidversuch, zwei Morde, den festgenommenen Mörder lässt sie gehen, seine Komplizen … «
»Den Mord
verdächtigen
«, sagte Andrele.
»Rein formal, ja.«
»Können Sie seine Schuld beweisen?«
»Das wird nicht weiter schwierig sein.«
»Hat er ein Geständnis abgelegt?«
»Uns gegenüber nicht«, antwortete Michael Bredik.
»Bonì?«
Louise räusperte sich. Andrele hatte sich halb umgedreht und sah sie an. Auch Graeve und Bredik schauten herüber. »Er hat diverse Straftaten begangen, aber keinen Mord.«
Zillers Gesicht lief rot an, er warf die Hände in die Luft.
»Wir haben also keinen Beweis, weder für seine Schuld noch für seine Unschuld«, sagte Andrele. »Wird nach ihm gefahndet?«
»Natürlich«, erwiderte Ziller. »Zwei Männer wurden ermordet, einer davon ein Mitarbeiter des Amtes mit Frau und zwei kleinen Kindern. Als Täter kommt nur
er
in Frage.«
»Nein«, sagte Louise.
»Wer denn sonst?«, brüllte Ziller.
»Der Mann, der auf uns geschossen hat.«
»Und wer ist das?«, fragte Andrele.
»Das weiß ich nicht.«
Ziller lachte auf.
»Aber ich kenne jemanden, der es weiß.«
Für einen Moment lag Schweigen über dem großen Raum.
»Wer soll das sein?«, fragte Ziller.
»Jemand von GoSolar.«
»Undenkbar!«
»Vorsicht, Bonì«, sagte Andrele. »Keine Anschuldigungen ohne Beweise.«
»Sie verdächtigen doch nicht etwa
mich
?«, fragte Kleinert, der sich zur Seite gelehnt hatte, um Louise an Andrele vorbei ansehen zu können.
»Bonì«, warnte Andrele erneut.
»Wie kommen Sie zu dieser Annahme?«, fragte Reinhard Graeve.
Louise wandte sich ihm zu, sprach langsam und mit Bedacht. Schritt für Schritt, das war ein gutes Motto für diese letzten Stunden im Dienst. Schritt für Schritt, um nicht am Ende doch zu stolpern.
Esther Graf, sagte sie, war von Steinhoffs Leuten als Spitzel ausgewählt worden, weil die meisten relevanten Unterlagen aus der Abteilung Research & Development früher oder später über ihren Tisch gingen. Obwohl sie sich aufgrund einer Fehleinschätzung der Situation bereit erklärt hatte mitzumachen, war sie von Anfang an überwacht worden – zu Hause, im Büro, unterwegs. Mike hatte das damit begründet, dass sie das schwächste Glied in der Kette gewesen sei, weil sie nicht zu der Gruppe gehöre und darüber hinaus psychisch labil sei.
Aber es gab einen weiteren möglichen Grund: Esther hatte im unmittelbaren Umfeld jener Person gearbeitet, die die ganze Operation initiiert hatte. Wenn sie Verdacht geschöpft hätte oder vom Verfassungsschutz kontaktiert worden wäre, wäre diese Person
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