Das verbotene Eden 01 - David & Juna
Es war der schrecklichste Augenblick in meinem Leben. Ehe Arkana mich zurückhalten konnte, rannte ich den Hang hinab und trat die Tür ein. Das Wesen, das mir entgegentaumelte, sah kaum noch wie ein Mensch aus. Seine Verbrennungen waren furchtbar. Ich glaubte fest, dass es in kurzer Zeit mit ihm zu Ende gehen würde. Also ließ ich den vermeintlich Sterbenden zurück. Einige Zeit später erfuhr ich, dass der alte Inquisitor das Zeitliche gesegnet und ein neuer Mann seinen Platz eingenommen hatte. Mein Freund. Marcus Capistranus.«
Junas Mund blieb vor Verblüffung offen stehen. »Der Inquisitor? Er ist Euer Freund?«
Claudius nickte. »Er
war
es. Damals, als wir noch jung waren, hat er mir einmal das Leben gerettet. Ich fühlte mich ihm verpflichtet. Ich stand an seiner Seite, wenn er mich brauchte. Doch er begann sich zu verändern. Er wurde hart, verbittert, unmenschlich. Er wurde zu einem Monstrum. Jetzt wirst du vielleicht verstehen, warum ich mich an der momentanen Situation mitschuldig fühle. Dass Marcus einen so erbitterten Hass empfindet, hat zum Teil mit mir zu tun. Immerhin glaubt er, ich wäre tot.«
»Das ist nicht sicher«, sagte Arkana. »Für mich klingt es so, als habe er schon immer einen furchtbaren Hass auf uns Frauen gehabt. Vielleicht war seine Trauer nur ein Vorwand, um ungehindert weiter plündern und morden zu können.«
Claudius legte grübelnd die Stirn in Falten. »Möglich. Jedenfalls war für mich damals Schluss. Ich wollte mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. Ich … ich versteckte mich, zog mich zurück.« Seine Stimme wurde leiser. Es schien ihm schwerzufallen, darüber zu sprechen. »Arkana gab mir die Kraft, weiterzumachen. Irgendwann wurde sie schwanger. Sie schenkte einer gesunden und wunderschönen Tochter das Leben … dir, Juna. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich war Vater.« In seinen Augen glitzerte es verdächtig. Er schien es selbst zu bemerken und wischte schnell mit dem Handrücken darüber. »An diesem Tag fand ich meinen Glauben zurück. Ich entschied mich, hierzubleiben … in deiner Nähe.« Er lächelte, auch wenn es ein trauriges Lächeln war. »Ich habe deine Entwicklung immer mit großem Stolz verfolgt, auch wenn ich das natürlich nur aus der Ferne tun durfte. Wie gerne hätte ich dich in meinen Händen gehalten, dich geküsst, mit dir gespielt …« Er deutete auf das große Fernrohr, das neben dem Fenster stand. »Ich habe dich manchmal beobachtet. Wie du Einkäufe erledigt hast oder am See spazieren gegangen bist. So konnte ich dir wenigstens für ein paar kurze Momente nah sein.« Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »Du ähnelst deiner Mutter in so vielen Dingen. Mehr, als du vielleicht ahnst.«
Juna wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Seine Worte erreichten sie gar nicht, schienen aus weiter Ferne zu kommen. Wer sollte dieser Mann noch mal sein – ihr Vater? Das war … nicht vorstellbar.
Sie versuchte, den Kopf wieder frei zu bekommen. »Aber ich dachte, alle Menschen seien von dem Virus befallen worden …«
»Waren sie auch«, sagte Arkana. »Aber manche waren gegen seine Kraft immun, so wie wir. Doch das fiel uns erst auf, als wir uns begegneten. Es ist wie bei einem Blinden, der zum ersten Mal das Licht sieht. Wenn du etwas nie kennengelernt hast, dann weißt du nicht, dass es dir fehlt. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem du es siehst oder in der Hand hältst. Ich bin mittlerweile überzeugt, dass es viele von unseresgleichen gibt. Menschen, die in ihrer Welt gefangen sind und die sich nicht vorstellen können, wie es sein könnte, so wie früher zu leben. Das Virus hat an Kraft verloren, aber es gibt Menschen, die verhindern wollen, dass das bekannt wird. Menschen wie Edana, die sich in ihrem Hass und ihrer Ignoranz wie in einem riesigen Spinnennetz verstrickt haben und die fürchten, es könne alles wieder so werden wie vor dem Zusammenbruch. Denn machen wir uns nichts vor: Die Gefahr, dass Männer und Frauen erneut aufeinander losgehen, schwebt wie ein Henkersbeil über unseren Köpfen. Niemand kann dafür garantieren, dass es diesmal klappen wird. Das Virus hat vielleicht seine Zähne verloren, beißen kann es immer noch.«
»Doch die Chance und die Hoffnung auf Besserung wiegen alles auf«, widersprach Claudius. »Unsere Welt stirbt, wenn wir nichts unternehmen. Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt so lange überlebt haben. Meinen Berechnungen zufolge wird die Menschheit in fünf bis zehn Jahren zu existieren
Weitere Kostenlose Bücher