Das verbotene Eden 02 - Logan & Gwen
Sie hatte ihn nur kurz zu Gesicht bekommen, in einem Käfig am See. Unscheinbar, blass, in sich gekehrt. Kein Mann, der eine Kriegerin der Brigantia beeindrucken konnte. Ein Grübler, ein Denker, ein Bücherwurm. Doch irgendetwas musste Juna in ihm gesehen haben. Manche sagten, er habe sie verhext, doch das konnte Gwen nicht glauben; dafür kannte sie ihre Gefährtin zu gut. Wenn jemand gegen die Verlockungen der Zauberei immun war, dann sie.
Aber was war es dann?
Gerüchte sprachen von einem Buch. Magdalena, die oberste Heilerin, hatte zuerst davon erzählt. Sie war eine Freundin der Hohepriesterin, die beiden standen in ständigem Austausch. Angeblich war Arkana die Letzte gewesen, mit der Juna vor ihrer Flucht Kontakt gehabt hatte. Doch was die beiden alten Frauen an Wissen teilten, drang nicht nach außen. Magdalena wich Gwens Fragen aus und berief sich auf ihre Vergesslichkeit. Einmal jedoch war ihr etwas herausgerutscht. Die Rede war von einem schmalen, schlanken Buch mit verbotenem Inhalt gewesen, daran erinnerte sich Gwen ganz genau. Angeblich enthielt es Texte, die von der Liebe handelten. Der Liebe zwischen Mann und Frau!
Konnte es so etwas geben?
Anscheinend war es sehr alt. Es stammte aus einer Zeit lange vor den Dunklen Jahren. Damals war es noch üblich gewesen, dass Männer und Frauen zusammenlebten, Kinder bekamen und diese gemeinsam aufzogen. Seither waren 65 Jahre vergangen, doch die Welt hatte sich in der Zwischenzeit komplett verändert. Es schien, als läge eine Ewigkeit dazwischen. Alles war seitdem anders geworden. Die Männer lebten in den Ruinen dessen, was einst eine große Stadt war. Sie standen unter der Führung eines Mannes, den alle Welt nur als den Inquisitor kannte:
Marcus Capistranus.
Der Teufel in Menschengestalt. Er überzog das Land mit Feuer und Hass, seine Grausamkeiten machten selbst vor Kindern und alten Leuten nicht halt. Jenseits der
Verbotenen Zone
begann das Reich der Frauen. Eine Welt des Friedens und der Harmonie, in der man im Einklang mit den Göttinnen lebte, in der man säte und erntete und Ehrfurcht vor der Natur hatte. Ihr goldenes Zentrum war die Stadt Glânmor, gelegen an den sanft abfallenden Flanken eines erloschenen Vulkans. Aus dem zentralen See erhob sich eine Insel mit einem Tempel darauf.
Glânmor war alt, viel älter, als manche Frauen wahrhaben wollten. Die Ursprünge lagen im Nebel der Geschichte verborgen, genau wie der Name, an dessen Herkunft sich niemand mehr erinnerte. Vermutlich war er während der großen Reinigung entstanden. Damals waren alle Andenken an die Zeit vor dem Zusammenbruch getilgt worden. Das Gebäude, das früher anstelle des Tempels auf dem heiligen Berg Mâlmot gestanden hatte, sollte Legenden zufolge einmal ein »Hotel« gewesen sein – ein Übernachtungsort für Ausflügler aus der großen Stadt, die nichts weiter im Sinn hatten, als sich zu amüsieren, die heißen Quellen zu entweihen und sich die Bäuche vollzustopfen. Doch die Altvorderen hatten das Gebäude umgebaut und aus ihm das gemacht, was es heute war: der Tempel der drei Göttinnen, das heilige Zentrum der gesamten Frauenwelt.
Abends, wenn es dunkel wurde, konnte man die Prozession der Gläubigen erkennen. Sie wanderten über die mit Fackeln beleuchteten Brücken zur Insel hinüber, erklommen die steilen Hänge und versammelten sich in der großen Halle zum Abendgebet.
Gwen griff nach dem Melkfett und verteilte es in ihrem Gesicht. Dann bestäubte sie ihren Dachshaarpinsel mit Kreidestaub und puderte ihre Wangen. Sie hasste ihre ewig roten Backen und die wohlgebräunte Haut. Sie wollte nicht, dass die anderen sie für einen Bauerntrampel hielten. Stattdessen wollte sie so aussehen wie die feinen Damen aus der Oberstadt, die nur selten ihre Häuser verließen, außer um Einkäufe zu erledigen oder bei wichtigen Versammlungen den Vorsitz zu führen. Frauen wie Arkana, Edana und der Rest des Hohen Rates.
Ein wenig Lidschatten, die Wimpern mit geöltem Kohlestaub nachgezogen, und Gwen war bereit für den Tag. Natürlich würde Magdalena es wieder missbilligen, dass sie geschminkt zum Dienst erschien.
Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz,
lästerte sie und zitierte dabei ein altes Märchen, das sie oft und gern erzählte. Gwen war das egal. Gutes Aussehen, saubere Kleidung und ein höfliches Auftreten kamen bei den Kranken immer gut an. Die Häuser der Heilung waren ein Ort, an dem sich alle wohl fühlen sollten – auch die Pflegerinnen.
Ein
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