Das verbotene Eden: Magda und Ben: Roman (German Edition)
Benedikt?«
»Voll und ganz, Sir.« Ben deutete einen militärischen Gruß an.
»Schön.« Auf Greipels kleinem Erdnussgesicht erschien ein durchtriebenes Grinsen. »Dann erklär uns doch mal bitte, was ein Virus ist. Definition, Morphologie, Klassifizierung, Replikation. Zack, zack, zack.« Er klatschte in die Hände.
Einige Lacher ertönten.
»Da gibt es nichts zu lachen, Herrschaften«, schnauzte Greipel. »Der Stoff wird Teil der Klausur nächste Woche, also passt jetzt besser auf. Leg los, Benedikt.«
»Also ein Virus ist …«
»Vorne an der Tafel, bitte.« Greipel machte eine einladende Geste, als würde er Ben zum Tee bitten. »Ich möchte Skizzen, Tabellen, Skalen. Das ganze Programm.«
Seufzend schlurfte Ben nach vorne. Er spürte die Blicke des gesamten Kurses in seinem Rücken, einschließlich Magdas, die wie immer in der zweiten Reihe saß. Greipel ging offenbar davon aus, dass Ben hoffnungslos versagen würde. So wie die meisten an der Schule wusste auch er, dass Ben das Wochenende mit seiner LARP-Gruppe in der Eifel verbracht hatte. Der Mittelalterverein war allgemeines Schulthema, solche Dinge blieben nie geheim. Was Greipel allerdings nicht wusste: Ben hatte sich erst am Donnerstag zuvor intensiv mit dem Thema beschäftigt. Der Grund dafür war ein Artikel auf Spiegel-Online über ein in Rotterdam entwickeltes Supervirus gewesen; es sollte so gefährlich sein, dass die US-Regierung an Forscher und Fachjournale appellierte, Daten darüber unter Verschluss zu halten. Der Vorgang sei einzigartig, erklärte Chefredakteur Bruce Alberts von der amerikanischen Fachzeitschrift Science . Noch nie zuvor habe sich die US-Regierung in die Veröffentlichung einer Studie eingeschaltet und Geheimhaltung empfohlen. Bei dem überaus gefährlichen und hochansteckenden Virus handele es sich um eine Variante des Schweinegrippe-Erregers H1N1, und die Regierung in Washington befürchtete, Terroristen könnten damit neue Biowaffen bauen.
Ben hatte das Thema interessiert, und so hatte er sich binnen kürzester Zeit alles Wissenswerte darüber angeeignet. Im Handumdrehen war er zu einem Experten in Sachen Virologie geworden, was Greipel unmöglich wissen konnte. Sein Lächeln zeugte jedenfalls davon, dass er mit der baldigen Kapitulation des renitenten Schülers rechnete.
»Ich warte.« Sein Fuß wippte ungeduldig auf und ab.
Ben nahm die Kreide und zeichnete mit ein paar schnellen Strichen den klassischen sechseckigen Umriss eines Virions auf die Tafel.
»Viren sind ansteckende Partikel, die sich außerhalb von Zellen durch Übertragung verbreiten, sich aber nur innerhalb einer sogenannten Wirtszelle vermehren können«, sagte er. »Es sind bisher um die dreitausend Virenarten identifiziert worden. Ihre Struktur ist denkbar einfach. Sie bestehen aus Virusnukleinsäure, die das Virusgenom bildet, also die Erbinformation. Sie wird von einem Kapsid umschlossen, das aus viruskodierten Kapsomeren besteht. Manche Virusarten sind zusätzlich von einer Virushülle umgeben; daran befinden sich Beinchen oder Fühler, die sogenannten Spikes.« Er zeichnete einen Kreis um das Virus und vervollständigte ihn mit kleinen Strichen. Das Ganze sah aus wie eine missgestaltete Sonne. Zufrieden mit seinem Werk, trat Ben einen Schritt zurück.
»In welcher Form liegt die Nukleinsäure im Inneren vor?« Greipel schien langsam aufzugehen, dass sein Triumph vielleicht doch verfrüht gewesen war.
»Unterschiedlich«, erläuterte Ben. »Das Genom besteht aus RNA oder DNA, die einzelsträngig oder doppelsträngig, linear oder zirkulär vorliegt. Von den RNA-Viren gibt es vierzehn Familien, von den DNA-Viren allerdings nur sechs. Ein Virus ist im Wesentlichen ein einfaches stoffliches Programm, das zur Eigenreproduktion dient. Es besitzt selbst keinen Stoffwechsel. Ob es somit die Kriterien eines Lebewesens erfüllt, ist immer noch umstritten. Wie auch immer, es gibt verschiedene Formen und Größen. Da ist einmal die kubische Form, so wie beim Poliovirus«, er tippte auf die sechseckige Form, »heliokal, wie beim Grippe-, Mumps- oder Masernvirus«, er tippte auf die runde Form, »oder komplex wie bei Pockenvirus oder Bakteriophagen.« Er zeichnete eine paar senkrechte Striche unter das Kapsid und ergänzte es mit Beinchen, die es aussehen ließen wie eine Mondlandefähre. »Der Vermehrungsvorgang beginnt damit, dass sich das kleine Virus an die Oberseite der runden, einladend aussehenden Wirtszelle heftet, Körperkontakt aufnimmt und
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