Das vergessene Zepter
Anführer des Mammuts, und alle Ausreden hatten ihre Berechtigung verloren.
Kein Schemenreiter tauchte auf, um sie zu leiten. In der Abenddämmerung des 12. hatten sie das Gefühl, sich restlos verirrt zu haben. Sie schlugen ein Lager auf mit einem Bratenfeuer, das durchaus als Signal gedacht war. Die Ritterin hielt einsam Wache, alle anderen gaben der Erschöpfung der sechzehnstündigen Tage nach.
Die Ruhe währte jedoch nur kurz. Wenige Sandstriche nach Mitternacht rüttelte die Ritterin Rodraeg und Eljazokad schon wieder wach. »Etwas stimmt mit Seraikella nicht.«
Zu dritt sahen sie sich den Hünen näher an, der auf der Ladefläche des Karrens lag, zitterte und sich immer wieder aufbäumte. Er hatte kein Fieber mehr, schien eher kühl zu sein, aber kühler Schweià bedeckte seinen Körper, beinahe spiegelten sich die Sterne in ihm. Hellas hatte sich schon, gestört von der Unruhe des GröÃeren, vom Wagen begeben und sich gekrümmt an eines der Räder gesetzt. »Manchmal summt er wie eine groÃe Fliege«, erstattete er Bericht. »Hoffentlich schlüpfen keine Fleischfliegenlarven aus ihm.«
Rodraeg, Eljazokad und die Ritterin sahen sich ratlos an. Plötzlich hob die Ritterin eine behandschuhte Hand. »Hört ihr das?« zischte sie.
Zuerst hörten sie nichts. Wind rauschte im nachtverhüllten Wald. Seraikellas Fersen schabten auf der Karrenfläche, seine Fingerkuppen tappten krampfhaft auf das fleckige Holz. Ein Käuzchen rief in gröÃerer Entfernung, verstummte dann jäh. Etwas näherte sich. Raschelte. Auf weiter Fläche. Etwas sehr GroÃes oder etwas, das aus vielen bestand.
Bhanu gesellte sich, frisch erwacht, zu ihnen. Ihre Augen waren groà und schimmernd vor Furcht und Ahnung.
Aus dem Unterholz drangen merkwürdige Geräusche.
Stöhnen, Ãchzen, hohles Atmen, Schmatzen und Schlürfen. Mehrere langsame Gestalten näherten sich dem Lager und kämpften sich dabei wie Blinde durch Gestrüpp und Buschwerk. Ihre Bewegungen waren abgehackt und fahrig, aber ihr Antrieb schien stark genug zu sein, um sich nicht durch Unwegsamkeiten aufhalten zu lassen.
»Ihr Götter!« entfuhr es Hellas, der seinem schorfig umwickelten Kopf zum Trotz die besten Augen hatte. »Wir müssen in der Nähe eines Friedhofes sein! Das sind Leichname, mindestens dreiÃig!«
»Leichname können nicht umherlaufen«, behauptete Bhanu mit zittriger Stimme.
»Wenn es keine Leichname sind, sind es Verzauberte«, vermutete Eljazokad. »Von Sehnsucht nach dem Zepter verzehrte arme Seelen.«
»Gab es nicht mal jemanden, der groÃspurig behauptete, es müÃten schon zwanzig Gegner gleichzeitig auftauchen, um uns Schwierigkeiten zu bereiten?« höhnte die Ritterin mit einem Seitenblick auf Rodraeg. »Dabei haben zwei kümmerliche Reiter schon genügt, um uns in Stücke zu hauen. Jetzt wird es demnach richtig, richtig interessant.«
»Wir brauchen nicht zu kämpfen«, entgegnete Rodraeg. »Das hat doch ohnehin keinen Sinn, ob es nun Tote sind oder sonstige Opfer der Zeptermagie. LaÃt uns einfach den Rückzug antreten. Wir müssen mit dem Zepter hier weg, dann wird der Spuk ein Ende haben.«
»Aber wo sollen wir denn hin, wo kein neuer Spuk uns mit offenen Armen erwartet?« fragte die Ritterin, die als einzige keine Anzeichen von Ekel zeigte angesichts der unheimlichen Meute, die mit heiserem Jammern und knirschenden Zähnen langsam näher kam, ausgezehrte Arme vorgestreckt, wie um etwas in Empfang zu nehmen, das Erlösung verhieÃ.
»Egal wohin. Nur weg hier. Hellas, steig auf, sei vorsichtig. Eljazokad, komm mit dem Zepter nach vorne auf den Kutschbock.« Zusammen mit Bhanu schirrte Rodraeg die Maultiere wieder ein. Die Ritterin schien noch darüber nachzudenken, den wackelnden Gestalten entgegenzugehen.
»Sie sehen hinfällig aus. Wie gefährlich können sie sein?« dachte sie laut nach.
»Ihr könnt gerne hierbleiben und mit ihnen einen Schreittanz aufführen, Ritterin«, sagte Rodraeg. »Wir jedenfalls machen uns auf.« Diesmal liefen die Maultiere von selbst los. Sie hatten Angst vor dem, was sich da näherte.
»Ohne mich fahrt ihr im Dunkel noch in irgendeinen Abgrund.« Die Ritterin legte ihrem Schimmel den Sattel auf. Kurz bevor die knotigen Finger eines Halbverwesten, dessen untere Gesichtshälfte von einem Bart
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