Das Verheissene Land
ersten Berge würden das Tal seiner Träume beherbergen. Er würde direkt an Land steuern. Er wollte dem schwarzen Strand aus dem Weg gehen und einen guten und sicheren Hafen für die Schiffe suchen. Dann würden sie in die Berge wandern und das Tal finden, und er würde Frieden finden.
Bran stand bald allein an Deck. Selbst Hagdar kletterte durch die Luke nach unten, doch Bran beschwerte sich nicht darüber. Sie brauchten jetzt Ruhe. Die Zeit würde kommen, in der sie alle ihre Kräfte brauchten. Bran wusste nicht, was ihn darauf gebracht hatte, doch er hatte schon längst damit aufgehört, sich über seine Gedanken oder über den Inhalt seiner Träume zu wundern. Turvi hatte es ihm noch im Lager am Fuß des Lanzengebirges erklärt, als sie die Spitzbüge bauten. Der Einbeinige hatte ihm gesagt, er sei der, der träume. Bran hatte dazu genickt, denn er erinnerte sich noch gut an den tiefen Schlaf. Er war über ihn gekommen und hatte ihn von dem Kurs nach Süden träumen lassen, von dem schwarzen Strand, den Bergen und dem Tal. Turvi hatte gesagt, die Namenlosen sprächen deutlicher zu ihm als zu allen anderen und dass er sich darüber nicht wundern sollte. Fühle es, hatte der Einbeinige gesagt. Fühl die Laute im Wind, die vielen Stimmen der Namenlosen. Du hast diese Gabe.
Gabe oder nicht, Bran verstand nicht viel von Göttern und Geistern. Doch er hatte Kragg über das Meer davonfliegen sehen. Der Himmelsvogel hatte die Sonne mit seinen Schwingen verdeckt und die Ebene an der Felsenburg ins Dunkel getaucht. Das war der erste Gott, den Bran gesehen hatte, und er hatte sich zum Boden hinuntergebeugt und vor Furcht geweint. Damals war er jung gewesen und hatte das Gemüt eines Kindes gehabt. Dann war er mit seinem Volk nach Süden gesegelt und das Meer war sein Freund geworden. In Tirga schickte Visikal ihn in den Krieg und er kämpfte für Tirs Volk. Der Krieg zeigte ihm einen anderen Gott, eine Gestalt voller Stärke und Macht. Cernunnos sprach durch den Schneesturm zu ihm und zeigte ihm den Weg zurück zum Leben und zu der Hütte der Sklavin.
Ein Welle schlug über das Deck. Bran wurde abrupt aus seinen Erinnerungen gerissen. Er richtete das Schiff auf. Der Mond verblasste im Westen, das Nordlicht war erloschen und der Himmel über dem Land begann heller zu werden. Er erkannte, dass er eingeschlafen sein musste.
Als Hagdar an Deck kletterte, um das Steuer zu übernehmen, kletterte Bran durch die Luke nach unten und tastete sich bis in den Bugraum vor. Männer gähnten, Kinder lugten unter den Decken hervor und krabbelten auf die Ruderbänke. Girwa, Enie und Narie kochten bereits Suppe über dem Feuer, doch Bran hatte keinen Hunger. Er setzte sich im Bugraum in den Sand und zog sich die Stiefel aus. Tir hatte sich gut in die Felle eingewickelt, so dass er nur ein paar Locken von ihr sah. Brans Atem zeichnete sich weiß im Halbdunkel ab. Er stand wieder auf, nahm das Talglicht mit zur Feuerstelle und hielt den Docht in die Flammen. Die Frauen wünschten ihm einen guten Morgen. Girwa reichte ihm eine Schale, doch Bran gähnte und zog das Talglicht aus dem Feuer. Er schützte die Flamme mit der Hand und ging zu seinem Schlafplatz zurück. Dort presste er das Talglicht in die Halterung, ehe er den Umhang auszog und über die nächste Ruderbank warf. Tir drehte sich auf die Seite, blinzelte und streichelte mit der Hand über die Haare des Kindes. Ulv lag, gut in Wolldecken gewickelt, dicht neben ihr. Bran selbst hatte eine Grube für den Kleinen in den Sand gegraben, so dass er sicher liegen konnte, auch wenn das Schiff von den Wellen hin und her geworfen wurde. Der Junge schlief jetzt, und er war froh darüber. An manchen Abenden hatte er den Jungen bis oben ans Steuer heulen hören.
Er zog sein Hemd aus und löste den Gürtel. Dann kroch er neben Tir unter die Felle. Es war angenehm dort, und er spürte die Wärme und den Schlaf, noch ehe er den Kopf auf die zusammengerollte Decke gebettet hatte. Tir zog ihre Beine an, als er siemit den Zehen berührte. Bran legte seinen Kopf etwas zur Seite, damit sich die steifen Muskeln an seiner rechten Halsseite entspannen konnten. Da drehte sie sich um, legte ihr Bein auf seine Hüfte, den Arm über seine Brust und den Kopf auf seine Schulter. Ihr Haar ruhte auf Brans Gesicht, doch er liebte das. Er sog den süßen Duft ein, den Duft von Haut, Meer und Frau. In der Regel drehte sie sich von ihm weg, wenn er kam, oder sie stand auf und nahm das Kind mit ans Feuer.
Weitere Kostenlose Bücher