Das Verheissene Land
Achtersteven und ließ den Bogen ins Wasser fallen.
Da war Hagdar zur Stelle. Er reichte ihm seinen kräftigen Arm und zog ihn wieder an Bord. Der große Mann sagte nichts, sondern schützte seine Augen mit der Hand und blickte zu dem flackernden Lichtgürtel empor.
»Der Himmel brennt«, sagte Kaer. »Jetzt haben wir wirklich das Ende der Welt erreicht.«
Turvi humpelte zum Bug vor, schwankte auf seinen Krücken und streckte die Arme ins Licht, das sich auf dem Wasser spiegelte. Bran kroch am Achtersteven entlang und übernahm wieder das Steuer. Es war jetzt zu spät zum Umkehren, das wussten sie alle. Sie mussten weiter, auch wenn der Himmel über ihnen brannte.
Noch mehr Menschen kamen an Deck. Bran erkannte die untersetzten Gestalten der Waldgeister zwischen Kai, Orm und Linvi. Orm schrie auf, als er das weiße Licht sah, doch Loke ging bis zur Reling vor und schob seinen Hut in den Nacken. Sein Bart glänzte silbern, als er seinen Kopf nach dem Licht richtete. Die Lehrlinge versammelten sich hinter ihm und blinzelten schläfrig zum brennenden Himmel empor.
»Verbergt euch vor dem Gott der Flammen!« Orm kroch zu ihnen, wobei er sich den Zipfel seines Umhangs vor das Gesicht hielt.
»Versteht ihr nicht? Das ist Seons Werk! Der Flammengott des Südvolkes verbrennt eure Seelen unter dem Himmel!«
Loke zupfte an seinen Bartflechten. Dann wandte er sich an Bran. »Ich brauche einen Eimer voll Meerwasser.«
»Meerwasser?« Bran drückte das Steuer zur Seite.
Loke senkte den Kopf und wiederholte, was er gesagt hatte. Bran bat Hagdar den Eimer zu leeren, der zwischen den Tonnen vor dem Mast stand, und ihn ins Wasser hinabzulassen.
Hagdar tat es, und als er ihn voll mit frischem Wasser vor dem Waldgeist auf das Deck stellte, bat dieser ihn, die Hand ins Wasser zu tauchen.
»Tu, was er sagt.« Turvi humpelte vor. »Ich glaube, ich weiß, was uns Loke sagen will. Ich habe von diesem Licht gehört, Männer. Ich habe davon als Kind zu hören bekommen.«
Hagdar zuckte mit den Schultern und lächelte, dann tauchte er die Hand ins Wasser. Er zog sie rasch wieder heraus. »Es ist kalt!« Er trocknete sie sich an der Brust ab. »Kalt wie ein Bergsee, bevor das Eis kommt.«
Loke hob den Eimer an und trug ihn zu Bran hinüber. Er ließ Bran fühlen und auch Bran wischte sich das eiskalte Wasser schnell an seinem Umhang ab.
»Wir sind weit nach Norden gekommen.« Loke wandte sich an die Männer und Frauen an Deck. »Hier bläst der Winter bereits eisige Winde über das Land, und der See Ohne Ufer ist kalt. Die Boottiere segeln uns nach Norden, hinein in die Kälte.«
»Aber was hat es mit diesem Licht auf sich?« Orm hielt sich den Umhang vors Gesicht und deutete auf den weißen Lichtschein.
»Das ist das Nordlicht«, sagte Loke. »Gewöhnt euch daran, Volk der Großen. Und seid gewiss, dass das Nordlicht ein Freund ist. Es scheint am Himmel und bringt euch Licht in den dunklen Nächten. Es ist kein Werk der Götter, und es sind keine Flammen am Himmel. Das Nordlicht ist etwas ganz eigenes, wie der Mond und die Sonne. Doch es wird nicht jede Nacht leuchten, wie es der Mond tut. Das Nordlicht ist ein flüchtiger Freund. Lernt es zu schätzen, wenn es sich zeigt.«
Mit diesen Worten gab Loke seinen Schülern ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie kletterten durch die Luke nach unten und verschwanden im Dunkel. Orm steckte seine Hand ins Wasser, doch er wagte es noch immer nicht, ins Nordlicht zu schauen.
Bran sah zu Nangors Langschiff hinüber. Der Seeräuber stand nach wie vor ungerührt am Steuer.
»Nordlicht!«, rief Bran. »Die Waldgeister sagen, dass es nicht gefährlich sei!«
Nangor klemmte sich das Steuerruder unter den Oberarm und lachte. »Das weiß ich! Es zeigt den Weg nach Norden zu den kalten Küsten!«
Bran schlug den Umhang um sich. Der dunkle Streifen Land im Osten verschmolz mit dem Meer. Die Wellen waren lang gestreckt und sanft. Der Vollmond schien, wie er ihn noch nie hatte scheinen sehen, während das Nordlicht unter dem Himmelszelt knisterte. Ein Zeichen des Winters, dachte Bran und schnupperte in den Wind. Es roch nach Frost, wie immer in den letzten Tagen des Herbstes. Doch es war viel zu früh für den Winter. Trotzdem verstand er, dass es immer kälter wurde, je weiter man nach Norden kam. So war es im Lanzengebirge und so musste es auch hier sein.
Er strengte seine Augen an und starrte in das Dunkel vor dem Bug. Wenn er den ersten Berg sah, würde er die Küste ansteuern. Er spürte es: die
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