Das Verheissene Land
Reling und atmete aus.
»Ich erinnere mich an die Karte.« Bran zog das Steuer zu sich herüber, als eine Welle von backbord über das Deck spritzte. »Das ist die Karte, aus der hervorgeht, dass es hier Land gibt. Aber das wissen wir jetzt ja.«
»Ich war bei N’Gama, dem Missgestalteten.« Turvi senkte die Stimme. »Der Kinlender hat die Zeichen für mich übersetzt, Bran. Sie berichten von einer Reise, einer Seereise voller Gefahren.«
»Du hast davon erzählt.« Bran fasste sich an den Nacken.
Turvi sah über das Meer. »Doch ich habe nichts von all dem Bösen erzählt, das den Seefahrern widerfahren ist. Dort steht: ›Die Wälder hallen von den Rufen der Dämonen wider, und die Felsen sind verwunschen von bösen, fremden Göttern. Der Wahnsinn hat drei der Männer befallen.‹« Er hielt Bran die Karte hin.
Bran blickte auf die schwarzen Striche, doch sie sagten ihm nichts. Er war nicht wie Turvi, der die Fähigkeit hatte, Worte aus den Zeichen zu lesen.
»Die Karte berichtet über Windstille«, sagte Turvi. »Und von einer Hoffnung im Norden. Doch sie berichtet auch vom Wahnsinn. Am Ende des Meeres sollen wir ein hohes Gebirge sehen und bei diesen Bergen stehen zwei Zeichen. N’Gama deutete sie als ›Ber-Mar‹.«
»Ich kann mich an nichts davon erinnern.«
»Weil ich dir nichts davon gesagt habe.« Turvi schob die Karte wieder unter sein Hemd. »Das hat einen guten Grund, Häuptling. Es macht keinen Sinn, dir zu viel auf einmal zu erzählen.«
Bran legte beide Hände aufs Steuerruder. Turvi hatte Recht, doch nur selten sagte der Einbeinige so etwas zu ihm.
»Ber-Mar ist der Ort am Ende des Meeres.« Der Einbeinige humpelte vor dem Steuer herum. »Diesen Platz muss es bereits gegeben haben, ehe die Mansarer, die diese Karte anfertigten, dort an Land gingen. Ber-Mar bedeutet ›Schwarzer Strand‹ auf Mansarisch.«
Bran wich zurück und lehnte sich gegen den Achtersteven. Die Bilder seines Albtraums kamen zurück. Er sah die Frau, die Wellen und den schwarzen Kiesstrand. Es lief ihm kalt über den Rücken. Dieser Ort war nicht gut.
»Ich habe schlimme Träume über den schwarzen Strand.« Bran biss die Zähne zusammen, ergriff das Steuer und richtete das Schiff auf. »Ich werde das Schiff an einem anderen Ort an Land führen. Wir können an der Küste entlang wandern, bis wir die Berge sehen.«
Turvi sah zu Boden und begann den Kopf hin und her zu wiegen. »Die Mansarer sind bei Ber-Mar an Land gegangen. Ich verstehe nicht, was an diesem Ort schlecht sein soll. Ich habe die Küstenlinie verfolgt. Wir könnten vor Neumond dort sein.«
»Wir werden an keinen schwarzen Strand fahren!« Bran schob sich die Mütze in den Nacken. »Ich bin der Häuptling. Ich bin der, der träumt. Ich entscheide, wo wir an Land gehen.«
Der Einbeinige blickte zu ihm auf, ehe er sich umwandte und zu Kaer humpelte. Bran sah zum Himmel empor. Kraggs juwelenbesetzte Schwingen leuchteten über ihm und linderten die Schmerzen hinter seiner Stirn.
Als Kaer kam, um das Ruder zu übernehmen, bat ihn Bran, einen nordöstlichen Kurs einzuschlagen. Er rief zu Nangor hinüber und bat ihn, ihnen zu folgen, denn er wollte das Land nicht aus den Augen verlieren. Sie sollten der Küstenlinie folgen, und bei dem ersten guten Hafen sollten sie die Schiffe an Land rudern und auf das Gebirge und das Tal zu wandern. Sie brauchten jetzt eine Heimat. Er brauchte das für seine Frau und seinen Sohn.
Während der folgenden Tage segelten die zwei Langschiffe nach Norden an der Küste entlang. Bran achtete darauf, dass der Steuermann immer die Felsen im Blick behielt, und er selbst stand oft im Bug und hielt nach Untiefen und Mahlströmen Ausschau.
Der Geruch von Tang hing über dem Meer. Des Nachts, wenn der Wind nach Südost drehte und von den Stränden herüberwehte, war der Gestank am stärksten. Bran glaubte, dass die Stürme in diesem Teil des Meeres stark wüteten, denn wenn er auf den Bugsteven kletterte und in Richtung Land spähte, konnte er gewaltige Tanghaufen und Quallen erkennen, die auf die Klippen und Strände gespült worden waren. Doch so war dieses Meer eben; die Menschen waren hier nur unbedeutende Geschöpfe. Sie waren Fremde, und das Land stieß sie mit seiner uneinnehmbaren Küste zurück.
Das Felsenvolk hielt sich nicht mehr so viel an Deck auf, denn der Wind war kälter geworden. Die Männer sprachen leise über Winter und Schnee, und die Frauen spähten mit besorgten Blicken zu Bran hinüber. Er wusste, dass
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