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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Doch jetzt drückte sie sich an ihn, und Bran legte seinen Arm um sie. Er spürte ihren weichen Bauch und ihre Brüste an seiner Seite und die Finger, die über sein zerschundenes Ohr streichelten.
    »Ich habe geträumt«, flüsterte sie.
    Bran schloss die Augen. Er war sehr müde. Das Meer wiegte ihn in den Schlaf.
    »Ich habe geträumt, dass wir an Land gekommen sind.«
    Er spürte Tränen auf seiner Schulter.
    »Ich habe Angst.« Sie wischte sich die Wangen trocken, und Bran legte beide Arme um sie. Manchmal konnte Tir so aufwachen, und dann brauchte sie seine Umarmung.
    »Du musst keine Angst haben.« Bran rückte sich in der Sandkuhle zurecht. »Wir werden jetzt bald an Land gehen, das spüre ich. Wir werden das Tal finden, und…«
    Ulv schrie. Aus den Decken tönte das wohlbekannte Weinen und Tir drehte sich auf den Rücken. Doch das Kind hatte wenig Geduld und wollte nicht warten. Das Gebrüll weckte die Männer, die fluchten und sich die Decken über den Kopf zogen. Tir kroch zu Ulv, nahm ihn auf den Arm und lehnte sich mit dem Rücken an den nächsten Balken. Sie zog das Kleid über die Schulter, legte eine Decke um sich und ließ das Kind trinken. Bran drehte sich auf die Seite.
     
    Turvi war einer der Ersten, der an jenem Morgen an Deck kam. Er hatte kaum geschlafen, wie beinahe jede Nacht, seit sie nach dem Sturmrand zum ersten Mal wieder Land gesichtet hatten. Er war ungeduldig und konnte es nicht ertragen, die Küste im Osten vorbeigleiten zu lassen, ohne selbst an der Reling zu stehen und Höhenzüge, Klippen und Schären in die Karte einzutragen, da sich außer ihm keiner darauf verstand, und das machte ihm Kummer. Er wollte sich bald nach einem Nachfolger unter den Jungen umsehen, nach einem, der das Wissen über die Schriftzeichen in die nächsten Generationen weitertragen konnte, wenn er selbst nicht mehr lebte.
    Der Einbeinige stand im Bug. Unter jeder Achsel eine Krücke, hielt er sich mit einer Hand an der Reling fest. Mit der anderen, freien Hand zog er den Primstab unter dem Hemd hervor. Er spähte mit zusammengekniffenen Augen an die Küstenlinie und zog dann sein Messer aus der Gürtelscheide. Er klemmte den länglichen Holzgriff zwischen die Zähne, stützte sich auf die Krücken und drehte sich nach Westen zum Meer und zum Mond um, der noch immer bleich und tief über der Horizontlinie hing. Turvi legte den Primstab auf die Reling und schnitzte eine Kerbe in die Tagseite. Dann drehte er den Stab um und schnitzte einen neuen Mondkreis in die Nachtseite. »Der zweite Mond nach der Geburt«, murmelte er. Das Kind würde überleben, davon war er überzeugt. Ulv hatte die ersten zwei Monde überstanden, und das war die schwierigste Zeit. Von jetzt an würde er schnell wachsen.
    Turvi lächelte bei dem Gedanken an den Sohn des Häuptlings. Das Fortbestehen von Brans Geschlecht war gesichert und damit die Zukunft des gesamten Volkes. Bei dem Gedanken wandte er sich wieder der Küste im Osten zu. Er schob den Primstab zurück ins Hemd und zog stattdessen die Karte heraus, um mit einem Stück Kohle Zeichen darauf zu malen. Er hatte die Strecke, die sie zurückgelegt hatten, genau verfolgt, und wusste, wo auf der Karte sie sich gerade mit ihren Schiffen befanden. Wenn die Karte der Mansarer stimmte, würden sie bald das nördliche Ende des Meeres erreichen. Ber-Mar, was immer sie dort erwartete, lag nach seinen Berechnungen nur noch wenige Tagesreisen entfernt im Norden, und nördlich von Ber-Mar waren die Berge. Der Einbeinige stopfte die langen Haare im Nacken unter den Kragen seines Hemdes, weil sie ihm ständig in die Augen wehten. Dann blickte er wieder zu dem schmalen Küstenstreifen. Er glaubte eine Bucht zu erkennen, vor der sich ein breites Band weißer Schaumkronen entlangzog. Er spitzte das Kohlestück mit dem Messer an und zeichnete vor der Küstenlinie ein Kreuz ein, das Zeichen für flaches Wasser.
    Hinter ihm tat es einen Knall. Turvi stützte sich auf die Reling und drehte seinen Oberkörper zur Seite. Bile und Loke waren auf eine der Tonnen am Mast geklettert, und Bile hatte anscheinend seinen Speer fallen lassen. Der Waldgeist klammerte sich an der Tonne fest, während Loke zeterte und schimpfte. Sie waren zu klein, um über die Reling schauen zu können, aber von den Tonnen aus konnten sie das Meer und den Landstreifen im Osten sehen. Loke zeigte hierhin und dorthin und beschrieb Vile und Bul, die auf dem Deck warteten, was er sah. Er blickte zu dem Segel hoch, das sich eine

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