Das Verheissene Land
Rumpf.
»Hart nach Osten!« Nangor zeigte zum Land. »Nach Osten, Hagdar!«
Hagdar tat, was der Seeräuber sagte. Der Eisberg ragte nur einen Speerwurf vor dem Bug aus dem Wasser.
»Rudert!« Der große Mann stampfte mit dem Fuß auf das Deck. »Rudert, Leute!«
Die Langschiffe drehten sich nur langsam, aber als Hagdar und Nangor die Schiffskörper erst einmal nach Osten ausgerichtet hatten, tat die Strömung ein Übriges. Die Wellen klatschten gegen die Backbordwand und drehten die Schiffe weiter herum. Hagdar blickte an der gigantischen weißen Eiswand empor, als die Ruder sie an dem Berg vorbeileiteten. Der Berg war mehrere Mastlängen hoch und trieb wie eine schwimmende Insel übers Meer. Hagdar schaute über die Reling. Auch unter Wasser ging der Berg weiter.
Bran saß auf einer der Ruderbänke. Er ruderte, dass er Schwielen in den Handflächen bekam, ohne genau zu wissen, was eigentlich geschehen war. Männer wie Frauen rackerten sich an den Rudern ab. Er hörte die Wellen an den Bug schlagen. Das Schiff wälzte sich knarrend und ächzend durchs Wasser.
»Wir sind vorbei!«, tönte Hagdars Ruf vom Deck. »Kragg sei dank, wir sind vorbei!«
Bran zog sein Ruder ein und ging zur Leiter. Als er den Kopf aus der Luke schob, sah er den weißen Berg hinter dem Achtersteven aufragen. Hagdar zog das Steuerruder zu sich heran, worauf das Schiff sich langsam drehte.
Bran stellte sich an die Reling. Der Nebel lag jetzt dicht um das Schiff, er konnte nicht mehr als einen knappen Speerwurf weit sehen. Der weiße Berg verwandelte sich in einen Frostschleier. Die Waldgeister standen noch immer vorne im Bug. Sie starrten in den Nebel, sprachen flüsternd miteinander und kratzten sich an ihren langen Bärten. Bran beschloss, wieder unter Deck zu gehen. Hagdar würde das Schiff schon sicher nach Norden bringen. Und jetzt, wo die Segel schlaff am Querbaum hingen, brauchten sie jeden Mann an den Rudern.
Ein Krachen zerriss die Stille. Es klang wie ein Donnerschlag, aber es kam nicht vom Himmel. Das war der weiße Berg. Bran fuhr herum. Der Berg wälzte sich auf die Seite, ehe sein massiger Körper in zwei Teile zerbrach. Eisfelsen stürzten ins Meer und drückten eine Mauer aus Wasser nach oben.
Hagdar brüllte wie ein Bär im Todeskampf, als die Flutwelle sich hinter dem Schiff aufbäumte. Er stemmte die Füße gegen die Reling und klammerte sich am Steuerruder fest, als die Welle backbord über die Reling brach und ihn unter sich begrub. Bran sprang in Richtung Luke, warf sie zu und griff nach dem Mast, aber da war die Flutwelle schon über ihm. Sie hob ihn nach oben. Er schlug mit der Hüfte gegen die Reling und versuchte sich daran festzuklammern, aber die Wassermassen drückten ihn über Bord.
Er schrie, schluckte Wasser und kämpfte sich an die Oberfläche. Das Meer schleuderte ihn herum, zerrte an seinem Körper und zog ihn hinunter in die bodenlose Tiefe. Bran blinzelte, aber er sah nur Schaum, Luftblasen und Dunkelheit. Er konnte nicht atmen. Er strampelte mit den Beinen und fuchtelte mit den Armen. Die Oberfläche war verschwunden. Er konnte nirgendwo Licht sehen. Das Meer tobte, brauste in seinen Ohren und zog ihn weiter nach unten. Etwas berührte sein Bein. Er dachte an die gigantischen Körper Der Mächtigen und schlug und trat panisch um sich.
Da durchbrach er die Oberfläche. Sein Mund öffnete sich. Er spuckte Salzwasser und schnappte nach Luft, als bereits die nächste Welle über ihn schlug. Aber diese Welle war kleiner. Er strampelte, schnaufte, blinzelte und sah den Nebel über dem Meer. Das Schiff war nirgends zu sehen.
Bran rief Hagdars Namen, aber niemand antwortete. Erst jetzt merkte er, wie kalt das Wasser war. Es stach in den Fingern, den Beinen und in seinen Leisten.
»Nangor!«, rief er einmal, zu mehr hatte er keine Kraft. Dann drehte er sich um und begann zu schwimmen, ohne zu wissen, wohin, da der Nebel alles verschluckte. Er lauschte auf das Geräusch von Rudern im Wasser. Aber es waren weder Ruder noch Stimmen zu hören.
»Hagdar!« Er rief, während die Kälte sich in seinem Körper breit machte. Er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Bald würde das eisig kalte Wasser ihn lähmen, und dann würde er ertrinken.
Bran ballte die Fäuste. Seine Finger gehorchten ihm schon nicht mehr. Er kämpfte sich durch die Wellen, während sie sich zu leblosen Krallen verkrümmten. Er biss die Zähne zusammen, bis ihm der Kiefer wehtat. Er wollte nicht aufgeben. Er würde kämpfen,
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