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Das Verheissene Land

Titel: Das Verheissene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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graue Schleier verschwand, und die Schmerzen weckten die gewaltige Wut, die in ihm steckte. Velar stöhnte, als Bran ihn am Hals hochzog, laut brüllte und ihn gegen die Reling schleuderte. Velar klappte zusammen, ließ den zerbrochenen Speer fallen und übergab sich.
    »Ich bin der Häuptling!«, brüllte Bran die Männer an, die um ihn herumstanden. Er drehte sich zu Turvi, Hagdar, Dielan und den anderen Leuten auf seinem eigenen Schiff um. »Ihr dürft nicht zweifeln!«
    Da wurden ihm die Beine unterm Leib weggerissen. Velar zerrte ihn aufs Deck und schlug ihm in den Bauch. Dann setzte er sich rittlings auf ihn und packte ihn mit beiden Händen am Hals. Bran keuchte. Er bekam keine Luft mehr.
    »Genauso sollst du sterben«, fauchte Velar ihn an. »Du hättest mir helfen sollen, als Cergan mich fast erwürgt hätte, aber du hättest mich ja lieber tot gesehen. Das wirst du jetzt bereuen, Bran!«
    Bran bereute es, und als er dort mit dem Gesicht auf den Decksplanken und mit Velars Händen um den Hals dalag, hätte er am liebsten die Augen geschlossen, um zu sterben. Er war bereit für die andere Seite, auf der die Namenlosen ihn in Empfang nehmen würden. Dort würden ihn weder Schmerzen noch Blindheit quälen. Aber da hörte er ihre Stimme, wie ein ferner Ruf hinter einer Mauer aus groben Stimmen. Tir rief nach ihm, sie brauchte ihn. Er tastete nach dem heißen, schweißnassen Nacken, legte seine Hände um Velars Hals und drückte zu. Zuerst schien Velar nichts zu merken. Speichel tropfte von seiner Unterlippe. Aber Bran verstärkte seinen Griff, er grub seine Daumen zwischen die Halsmuskeln und krallte die Finger um die Nackenwirbel. Was wusste Velar schon vom Schmerz? Bran sah die Todesangst in seinen Augen. Velar löste den Griff. Er ließ los, und Bran schnappte nach Luft. Dann warf er Velar auf die Seite, und Velar machte keinen Versuch, sich zu befreien. Aber Bran sah die Tränen in den Augen seines Widersachers. Er weinte wie ein Kind. Seine Lippen formten stumme Worte. Bran beugte sich über seinen Mund, ohne den Würgegriff zu lockern.
    »Gnade…«, flüsterte Velar in sein Ohr. »Lass mich… leben.«
    Bran sah ihm in die Augen. Es war lange her, dass er etwas von Gnade gehört hatte.
    »Ich…« Velars Augen schlossen sich. »Ich werde fortgehen… Nach Süden.«
    Bran ließ ihn los. Er wusste nicht, warum er das tat, denn der Krieg hatte ihn gelehrt, niemals einen Feind am Leben zu lassen. Vielleicht waren es die Worte gewesen. Vielleicht hatte er auch einfach genug vom Töten. Er hatte viele Menschen getötet. Viel zu viele. Bran wandte Velar den Rücken zu, blieb stehen und starrte auf die Decksplanken. Sein Volk wartete. Sie würden ihm weiter folgen. Aber er hatte keine Kraft mehr. Er war erschöpft. Der Schmerz in seinem Kopf kehrte zurück. Der graue Schleier flimmerte vor seinen Augen.
    Hagdar und Kaer halfen Tir über die Reling, und Tir drückte Bran an sich und legte ihre Hand auf seinen Nacken. Velar kroch hustend und keuchend zur gegenüberliegenden Reling, aber nicht einmal die Tirganer schenkten ihm mehr Beachtung. Wieder einmal hatte Bran seine Stärke bewiesen. Er war der rechtmäßige Häuptling.
    »Komm.« Tir nahm Bran bei der Hand. »Lass uns auf unser Schiff gehen. Hagdar wird uns weiterführen.«
    Bran stützte sich auf sie. Er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, bis der graue Schleier ihm ganz die Sicht nehmen würde. Noch sah er etwas, aber das würde nicht mehr lange anhalten.
    Dielan streckte ihm die Hand entgegen. Bran griff danach und kletterte über die Reling. Dann drehte er sich zu Tir um. Sie war bereits mit einem Bein auf der Reling. Er lehnte sich zu ihr hinüber, weil sie es nicht allein schaffte, herüberzuklettern.
    Und da sah er es. Velar hatte sich erhoben. Er griff nach einem der Bögen an der Reling, legte einen Pfeil an die Sehne und spannte sie.
    »Bran!« Velar rief seinen Namen im selben Augenblick, als er den Pfeil abschoss. Bran hörte auf zu atmen. Er hörte auf zu leben. Der Pfeil sauste über das Deck. Die Pfeilspitze blitzte auf. Er schrie. Tir schnellte herum, sah ihn an. Er wusste es bereits, ehe es geschah. Der Pfeil würde nicht ihn treffen. Der Pfeil bohrte sich in ihren Rücken. Ihre Hand zuckte zurück. Sie blickte erstaunt auf die blutige Spitze, die unter ihrer Schulter aus dem Fleisch ragte. Dann sah sie zu ihm auf. Sie streckte die Arme nach ihm aus, aber er konnte sie nicht auffangen. Sie fiel. Sie fiel in das schwarze Wasser

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