Das Verheissene Land
Frauen, die sich mit Tirganern zusammengetan hatten, standen schweigend bei ihren Männern.
»Bran will nach Süden segeln.« Turvi war an die Reling gehumpelt und hatte alle Tirganer, ihre Frauen und den Rest von Nangors Mannschaft zu sich gewunken, darunter auch Nosser und Velar.
»Zurück? Noch einmal durch den Nebel?« Nosser drängelte sich zur Reling, legte die Hände auf einen der wenigen Bronzeschilde, die der Sturmrand verschont hatte, und heftete seine tiefliegenden Augen auf Bran. »Aber wir sehen doch die Berge, Häuptling! Nangor sagt, die Zeichen ständen gut, um hier anzulegen. Findest du nicht, dass es langsam an der Zeit ist, uns in das Land zu führen, von dem du geträumt hast?«
Bran suchte nach Worten, aber da hob Turvi die Hand und räusperte sich. »Ich höre Zweifel in deiner Stimme, Nosser. Das ist seltsam, solltest du doch alt genug sein, um zu verstehen. Bran ist ein Träumer. Er hat uns durch den Sturmrand geführt. Er wusste, dass es auf der anderen Seite auch Meer gab, so wie er wusste, dass er die Berge finden würde, wenn er nur nach Norden segelte.«
»Dann lass uns doch an Land rudern. Zu den Bergen.« Orm zog an der Schot und begann, an dem Knoten herumzuhantieren. »Oder besser noch, lassen wir uns an Land treiben! Ich kann schon nicht mehr sagen, wie viele Tage wir an den Rudern sitzen!«
Bran packte Orm am Handgelenk und stieß ihn mit einem Knurren beiseite. Das war sein Schiff. Niemand würde ohne seinen Befehl auch nur eine Schot lösen.
»Im Süden gibt es bessere Häfen.« Bran wagte es nicht, seinen Leuten in die Augen zu blicken, weil er fürchtete, dass sie ihm ansahen, dass er log. »Ich habe es im Traum gesehen. Ein langer Sandstrand, geschützt von…« Er schluckte und trat einen Schritt von der Reling zurück. Die Schmerzkrallen bereiteten ihm Schwindel. Er rieb sich die Augen, weil seine Sicht verschwamm.
»Du lügst!« Velar sprang auf die Reling. »Merkt ihr denn nicht, dass er lügt, Freunde?«
Turvi hinkte zu ihm und zog ihn am Hosenbein, aber Velar blieb stehen. Er beugte sich vornüber und zeigte auf Bran. »Seht ihn euch doch an! Seht, wie er sich auf der Reling abstützt. Er kann sich kaum auf den Beinen halten!«
Dielan drohte Velar mit der geballten Faust, aber Velar hatte sich bereits zu den Tirganern auf Nangors Schiff umgedreht. »Bran wird uns niemals an Land führen, nur in den sicheren Tod! Das war die ganze Zeit sein Plan.« Jetzt wandte Velar sich an die Besatzung auf Brans Schiff. Sie schwiegen. Sie lauschten. Der Wind griff in Velars langes, blondes Haar. Er warf seinen Umhang ab. »Versteht ihr denn nicht, dass Bran verhext ist? Die Fischmenschen haben ihm eine Kette aus Haizähnen gegeben. Damit haben sie ihn zu einem der Ihren gemacht. Er war ein leichtes Opfer für sie, denn Bran hat keinen Stolz, und er war niemals einer von uns. Er ist ein Verräter! Er will uns wieder aufs Meer hinausbringen, damit Manannan uns alle in Fischmenschen verwandelt!«
Bran hatte während Velars Ansprache stumm dagestanden und gegen den Schmerz angekämpft. Er rieb sich die Augen und versuchte mit einem Kopfschütteln, den grauen Schleier vor den Augen zu verscheuchen. Sein Volk lauschte Velar, und Velar zog auch noch sein Wams aus und ballte die Fäuste.
»Ich bin stark«, sagte er. »Ich kann euch weiterführen. Nehmt mich zum Häuptling.«
Einer der Tirganer reichte ihm einen Speer. Velar hob ihn hoch über den Kopf. Die Stagen malten Schatten auf seine nackte Brust.
»Ich bin Kragg treu geblieben. Ich habe mich nicht an andere Götter gewandt wie Bran.«
Nosser rief seinen Namen. Mehrere Tirganer fielen in das Rufen ein und huldigten Velar als ihrem neuen Häuptling. Die Männer auf Brans Langschiff zögerten noch. Orm und Niana, die ihre Tochter auf dem Arm trug, zogen sich von Bran zurück und schlossen sich der Besatzung auf Nangors Langschiff an.
»Velar! Velar!« Die Rufe schallten über das Meer. »Velar! Lass die Schiffe umkehren!« Die Tirganer jubelten. »Velar führt uns an Land!«
In dem Moment griff Bran an. Mit einem Satz war er auf der Reling, umklammerte Velars Brustkorb und riss ihn im Fallen mit sich. Sie landeten zwischen den Tirganern. Der Speer zerbrach unter Velars Rücken. Bran holte mit dem Ellbogen zu einem Schlag gegen seine Stirn aus, aber Velar schaffte es, sich rechtzeitig zur Seite zu rollen. Bran griff in das blonde Haar und zwang Velar erneut auf die Decksplanken. Der Kampf machte seinen Kopf wieder klar, der
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