Das Verheissene Land
drückte sie an sich. Die Pfeilspitze ritzte seine Haut an der Brust auf. Er wollte, dass sie ihn in den Arm nahm. Er wollte, dass sie lebte.
»Sie ist tot, Bran.« Dielan legte die Hände auf seine Schultern.
Bran schüttelte sie ab. Er legte sie zurück auf den Boden, erhob sich und wandte das Gesicht zum Himmel. Er schrie den Göttern seine Verzweiflung und Wut entgegen. Er war sicher, dass sie ihn sahen. Sie hätten ihm helfen können. Sie hätten sie leben lassen können.
Dann sah er zu ihr hinunter. Loke saß jetzt neben ihr. Er hatte seine Hand auf ihre Stirn gelegt. Hagdar, Turvi und all die anderen hatten sich um sie geschart. Hagdar wischte sich Tränen aus den Augen. Loke legte seine Hand auf ihre Brust.
In diesem Augenblick entdeckte er Velar. Mit einem Speer in der Hand und einem Fell unterm Arm floh er zu einem flachen, grasbewachsenen Hügel am Ende des Strandes.
Bran schob die Männer und Frauen zur Seite. Und sie machten ihm den Weg frei, sie wussten, was er vorhatte. Keiner sagte etwas, als er hinter dem Fliehenden her rannte. Velar drehte sich um, ließ das Fell fallen und richtete den Speer auf Bran. Bran war jetzt weniger als drei Speerlängen von ihm entfernt. Er bückte sich, nahm einen großen Stein und stützte ihn an der Schulter ab. Velar hob den Speerarm und setzte zum Wurf an, aber es war zu spät. Bran hatte den Stein bereits geworfen. Velar versuchte auszuweichen, aber der Stein traf ihn über dem Knie. Der Speer fiel ihm aus der Hand und er kippte vornüber wie ein gefällter Baum. Da stürzte Bran sich auf ihn und schlug so lange mit den Fäusten auf Velars Gesicht ein, bis Velar blutüberströmt und reglos dalag. Dann zog er den misshandelten Körper über einen Stein und legte den Arm um Velars Hals. Velar japste zwischen seinen aufgeplatzten Lippen nach Luft. Er flehte keuchend um Gnade, aber Bran nahm nichts anderes mehr wahr als seine eigene Trauer. Mit einem Ruck riss er Velars Kopf herum. Velar gab ein Stöhnen von sich, als sein Genick brach. Bran ließ ihn los. Er legte das Gesicht in die Hände und spürte das Blut an der Haut. Er heulte. Wie ein alter, verwundeter Wolf heulte er das Meer und den Himmel an.
Dann sank er neben Velar auf die Knie. Er hörte, wie sie nach ihm riefen, aber ihre Stimmen waren wie ein Flüstern aus einer anderen Welt. Er wollte zwischen den schwarzen Steinen liegen bleiben, bis der Tod ihn holte. Dann wäre er wieder mit ihr vereint.
Plötzlich wurde er hochgehoben. Hagdar schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Bran blinzelte, aber nicht einmal der Schmerz war stark genug, um ihn wachzurütteln.
»Hörst du nicht?« Der große Mann starrte ihn an. »Wir haben nicht mehr viel Zeit!«
Hagdar legte Brans Arm um seine Schulter und stützte ihn. Loke kniete noch immer neben Tir. Es sah aus, als würde er an ihrem Mund horchen. Bran machte sich von Hagdar los. Er wagte nicht, den Gedanken weiterzudenken.
»Komm her«, sagte der Waldgeist. »Knie dich neben sie so wie ich.«
Bran tat, was Loke von ihm verlangte. Er kniete sich neben Tir und ließ seine Tränen auf ihre kalte Haut tropfen. Ihr Mund stand offen, aber sie war noch genauso leblos wie zuvor.
»Blas deinen Atem in sie hinein.« Loke stützte ihren Kopf im Nacken ab. »Gib ihr etwas von deinem eigenen Leben, Bran!«
Er legte seine Lippen auf ihre, holte durch die Nase Luft und ließ seinen Atem in sie hineinströmen.
»Noch einmal, Bran!« Loke legte seine wettergegerbten Hände auf Tirs Brust und begann unverständliche Worte zu singen.
Bran blies sein eigenes Leben, seine eigene Wärme in sie hinein. Er teilte seinen Atem mit ihr. Loke sang jetzt laut und durchdringend, und seine Schüler stimmten einer nach dem anderen in den Gesang ein.
»Weiter, Bran! Bei deinem ganzen Willen und deiner ganzen Stärke, gib ihr das Leben zurück!« Loke griff nach Brans Hand und presste sie gegen Tirs Brust. Mit der anderen Hand stützte Bran ihren Kopf und blies in ihren Mund. Er hatte Hoffnung, und mit der Hoffnung kehrte die Kraft zurück.
Und da fühlte er es. Ein Ziehen, ein schwaches Zucken in der Brust. Sie bewegte sich. Sie lebte.
Loke sprang auf und rief etwas. Die Schüler drehten Tir auf die Seite. Tir hustete und spuckte Salzwasser. Loke steckte seine kurzen Finger in ihren Mund und befreite sie von Schleim und Erbrochenem. Bran stützte ihre Schultern. Er nahm ihre Hand, unfähig, etwas zu sagen. Er konnte es noch immer nicht glauben.
Turvi ließ die Krücken fallen und
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