Das Verlorene Labyrinth
hindurch zu ihm auf.
Er war noch immer argwöhnisch, aber jetzt lag ein Anflug von Unschlüssigkeit in seinen Augen.
»Damit ist noch immer nicht beantwortet, warum Ihr im Zimmer meiner Gemahlin wart.«
»Nur um Euren Ruf zu bewahren«, sagte sie. »Um etwas, das Euch gehört, an seinen rechtmäßigen Platz zurückzubringen.« »Was soll das sein?«
»Mein Mann hat in meinem Gemach die Scheibenfibel eines Männermantels gefunden.« Sie deutete die Form mit den Händen an. »Etwa so groß, aus Kupfer und Silber gemacht.«
»Eine solche Fibel habe ich verloren«, gab er zu.
»Jehan war fest entschlossen, ihren Besitzer zu finden und seinen Namen bekannt zu machen. Da ich wusste, dass es Eure war, hielt ich es für das Sicherste, sie in Euer Gemach zurückzubringen.«
Guilhem runzelte die Stirn. »Warum habt Ihr sie mir nicht einfach gegeben?«
»Ihr geht mir aus dem Weg, Messire«, sagte sie sanft. »Ich wusste nicht, wann ich Euch sehen würde und ob überhaupt. Außerdem, wenn man uns gemeinsam bemerkt hätte, wäre das möglicherweise der Beweis gewesen, dass einmal etwas zwischen uns war. Mag sein, dass Ihr mein Handeln für töricht haltet. Aber zweifelt nicht an den guten Absichten dahinter.«
Oriane sah ihm an, dass er nicht überzeugt war, aber andererseits davor zurückschreckte, die Sache weiterzuverfolgen. Seine Hand glitt zu dem Messer an seinem Gürtel.
»Wenn Ihr Alaïs davon auch nur ein Wörtchen erzählt«, sagte er, »werde ich Euch töten, Oriane. Das schwöre ich bei Gott.« »Von mir wird sie nichts erfahren«, sagt sie und lächelte dann. »Es sei denn, mir bleibt keine andere Wahl. Ich muss mich schließlich selbst schützen. Und ...« Sie hielt inne. Guilhem holte tief Luft. »Und der Zufall will es«, fuhr sie fort, »dass ich Euch um einen Gefallen bitten möchte.«
Seine Augen wurden schmal. »Und wenn mir nicht danach ist?« »Ich möchte doch nur wissen, ob unser Vater Alaïs irgendetwas Wertvolles zur Aufbewahrung gegeben hat, mehr nicht.«
»Ich soll meine eigene Frau ausspionieren?«, sagte er und hob fassungslos die Stimme. »Ich werde nichts dergleichen tun, Oriane, und Ihr werdet nichts tun, was sie aufregen könnte, haben wir uns verstanden?«
»Ich sie aufregen? Eure Furcht vor Entdeckung weckt Eure Ritterlichkeit. Ihr wart es doch, der sie in all den Nächten betrogen
hat, die Ihr bei mir lagt, Guilhem. Ich will nur etwas in Erfahrung bringen. Und ich werde herausfinden, was ich wissen will, mit oder ohne Eure Hilfe. Wenn Ihr mir j edoch Schwierigkeiten macht... « Sie ließ die Drohung unausgesprochen im Raum stehen.
»Das würdet Ihr nicht wagen.«
»Es wäre eine Kleinigkeit, Alaïs zu erzählen, was wir alles zusammen getan haben, ihr die Dinge zu gestehen, die Ihr mir zugeflüstert habt, die Geschenke, die Ihr mir machtet. Sie würde mir glauben, Guilhem. Weil Euch zu viel von Eurer Seele ins Gesicht geschrieben steht.«
Angewidert von ihr, von sich selbst, riss Guilhem die Tür auf. »Fahrt zur Hölle, Oriane«, sagte er und stürmte davon.
Oriane lächelte. Sie hatte ihn in der Falle.
Den ganzen Nachmittag suchte Alaïs nach ihrem Vater. Niemand hatte ihn gesehen. Sie war in der Cité gewesen, in der Hoffnung, wenigstens mit Esclarmonde reden zu können. Aber sie und Sajhë hatten Sant-Miquel verlassen und waren offenbar noch nicht wieder nach Hause zurückgekehrt.
Schließlich ging Alaïs erschöpft und sorgenvoll allein in ihr Zimmer. Sie konnte sich nicht schlafen legen. Sie war zu nervös, zu angespannt. Sie entzündete eine Lampe und setzte sich an den Tisch.
Die Glocken hatten schon eins geschlagen, als sie hörte, wie die Tür aufging und jemand hereinkam. Sie hob den Kopf von den Armen und blickte verschlafen in die Dunkelheit.
»Rixende?«, flüsterte sie. »Bist du das?«
»Nein, ich bin nicht Rixende«, sagte er.
»Guilhem?«
Er trat ins Licht und lächelte, als wäre er nicht sicher, ob er auch willkommen war. »Verzeiht mir. Ich versprach, Euch nicht zu behelligen, ich weiß, aber ... darf ich?«
Alaïs setzte sich auf.
»Ich war in der Kapelle«, sagte er. »Ich habe gebetet, aber ich glaube nicht, dass meine Worte erhört wurden.«
Guilhem setzte sich ans Fußende des Bettes. Nach kurzem Zögern ging sie zu ihm. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben. »Kommt«, flüsterte sie. »Ich helfe Euch.«
Sie zog ihm die Stiefel aus und half ihm mit Schulterharnisch und Gürtel. Leder und Schnalle fielen scheppernd zu Boden. »Was
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