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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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vielen Gräbern lagen Blumen, manche echt und welk, andere aus Seide, Plastik oder Porzellan.
    Alice folgte der Wegbeschreibung, die Karen Fleury ihr gegeben hatte, und fand die Grabstätte Giraud-Biau ohne Schwierigkeiten. Es war ein großes, flaches Grab fast am Ende des Mittelweges und wurde von einem steinernen Engel mit ausgebreiteten Armen und angelegten Schwingen bewacht.
    Sie sah sich um. Keine Spur von Baillard.
    Alice fuhr mit dem Finger über die Grabplatte. Hier lag der größte Teil der Familie von Jeanne Giraud, einer Frau, von der sie lediglich wusste, dass sie eine Verbindung zwischen Audric Baillard und Grace darstellte. Erst jetzt, als sie auf die eingemeißelten Namen dieser Familie blickte, wurde Alice klar, wie überaus ungewöhnlich es doch war, dass ihre Tante hier die letzte Ruhe gefunden hatte.
    Ein Geräusch auf dem Querweg ließ sie aufhorchen. Sie sah sich um und erwartete, den älteren Herrn von dem Foto auf sich zukommen zu sehen.
    »Dr. Tanner?«
    Es waren zwei Männer, beide in leichten Sommeranzügen, beide dunkelhaarig und die Augen hinter Sonnenbrillen versteckt.
    »Ja?«
    Der Kleinere von beiden zeigte ihr kurz eine Dienstmarke. »Polizei. Wie müssen Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    Alice' Magen zog sich zusammen. »In welcher Angelegenheit?«
    »Es wird nicht lange dauern, Madame.«
    »Können Sie sich ausweisen?«
    Er griff in die Innentasche seines Jacketts und holte einen Ausweis mit Foto heraus.
    Alice konnte nicht beurteilen, ob der Ausweis echt oder gefälscht war. Doch die Pistole im Halfter unter der Jacke sah verdammt echt aus. Ihr Puls begann zu rasen.
    Alice tat so, als studierte sie den Ausweis genau, sah sich aber dabei unauffällig auf dem Friedhof um. Weit und breit war niemand zu sehen. Die Wege erstreckten sich menschenleer in alle Richtungen.
    »Worum geht es denn ?«, fragte sie mit bemüht ruhiger Stimme. »Wenn Sie bitte mitkommen würden.«
    Am helllichten Tage können sie dir nichts tun.
    Zu spät wurde Alice klar, wieso ihr die Frau, die ihr die Nachricht ausgerichtet hatte, bekannt vorgekommen war. Sie sah dem Mann ähnlich, den sie gestern Abend kurz in ihrem Zimmer gesehen hatte. Diesem Mann.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte Alice eine Betontreppe, die zu einem frisch angelegten Teil des Friedhofs hinunterführte. Und dahinter war ein Tor.
    Der Mann fasste ihren Arm. »Maintenant, Dr. Tan...«
    Alice warf sich nach vorn, stürmte los wie eine Sprinterin aus dem Startblock und überrumpelte die Männer. Sie reagierten mit Verzögerung. Ein lauter Ruf erscholl, doch sie war schon die Treppe hinunter und rannte durch das Tor hinaus auf den Chemin des Anglais.
    Ein Auto, das den Berg heraufgekeucht kam, machte eine Vollbremsung. Alice blieb nicht stehen. Sie schwang sich über ein wackeliges Gartentor und hastete weiter zwischen Reihen von Weinstöcken hindurch, stolperte über die furchige Erde. Sie spürte die Männer in ihrem Rücken, die allmählich aufholten. Das Blut dröhnte ihr in den Ohren, die Muskeln in ihren Beinen waren angespannt wie Klaviersaiten, aber sie lief weiter.
    Am Ende des Weinfeldes war ein engmaschiger Zaun, zu hoch, um einfach drüberzuspringen. Alice sah sich hektisch um, entdeckte ein Stück weiter ein Loch. Sie rannte hin, warf sich auf die Erde und kroch unter dem Zaun durch. Spitze Steine und Kiesel gruben sich ihr in Ellbogen und Knie. Als sie halb unter dem Zaun durch war, verfing sich ihre Jacke an den losen Drahtenden und hielt sie so fest wie ein Fliege im Spinnennetz. Alice zog und zerrte und konnte sich schließlich mit einem Ruck losreißen, wobei ein Fetzen blauer Baumwollstoff am Draht hängen blieb.
    Jetzt war sie in einer Art Schrebergarten gelandet. Lange Reihen mit hohen Bambusgestellen, an denen Auberginen, Zucchini und Stangenbohnen reiften, boten ihr Deckung. Geduckt lief Alice im Zickzack zwischen den Beeten hindurch, wollte zu den schützenden Gartenhäuschen. Als sie um die Ecke bog, warf sich ihr ein riesiger Mastiff an einer schweren Eisenkette entgegen, bellte wütend und schnappte mit seinen gefährlichen Fängen nach ihr. Sie unterdrückte einen Aufschrei und sprang zurück.
    Durch den Haupteingang zu den Gärten kam sie geradewegs auf die viel befahrene Hauptstraße am Fuße des Berges. Sobald sie auf dem Bürgersteig war, erlaubte sie sich einen Blick zurück. Hinter ihr war alles leer und ruhig. Sie hatten die Verfolgung aufgegeben.
    Alice beugte sich vor und stützte die Hände auf die Knie. Sie

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