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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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und ihr die Gerüche des Berges in die Nase drangen, wurde ihr klar, dass sie praktisch an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt war und sich jetzt auf der Rückseite des Pic de Soularac befand.
    Sie stieg zu einem hohen Aussichtspunkt hinauf, schirmte die Augen mit der Hand ab und sah sich um. Sie erkannte den Etang de Tort, einen Bergsee mit einer unverkennbaren Form, von dem die Männer in dem Café ihr erzählt hatten. Ganz in der Nähe war ein weiteres Gewässer, das unter den Einheimischen als der Teufelssee bekannt war.
    Schließlich orientierte sie sich am Pie de Saint-Barthélémy, der sich zwischen dem Pic de Soularac und Montségur erhob. Direkt vor ihr wand sich ein schmaler Pfad durch ein Mischmasch aus grünem Buschwerk, brauner Erde und hellgelbem Ginster. Die dunkelgrünen Buchsbaumblätter dufteten angenehm. Sie berührte sie und verrieb den Tau mit den Fingerspitzen.
    Alice stieg etwa zehn Minuten lang bergauf. Dann mündete der Pfad auf eine Lichtung, und sie war da.
    Sie sah ein einstöckiges, von Ruinen umgebenes Haus, dessen grauer Stein sich kaum von der Bergwand dahinter abhob. Und in der Tür stand ein Mann, sehr dünn und sehr alt, mit einem weißen Haarschopf, und er trug den hellen Anzug, an den sie sich von den Fotos her erinnerte.
    Alice hatte das Gefühl, als würden sich ihre Beine von allein bewegen. Der Boden wurde flacher, als sie die letzten Schritte auf ihn zuging. Baillard beobachtete sie schweigend und völlig reglos. Er lächelte nicht und hob keine Hand zur Begrüßung. Selbst als sie schon fast bei ihm war, sprach er kein Wort und rührte sich nicht. Seine Augen ruhten unverwandt auf ihrem Gesicht. Sie hatten eine ganz außergewöhnliche Farbe.
    Bernstein durchsetzt mit Herbstlaub.
    Alice blieb dicht vor ihm stehen. Und endlich lächelte er. Es war, als würde die Sonne hinter Wolken hervorkommen und die Furchen und Falten seines Gesichtes aufscheinen lassen. »Madomaisela Tanner«, sagte er. Seine Stimme war tief und alt, wie der Wind in der Wüste. »Benvenguda. Ich wusste, Sie würden kommen.«
    Er trat zurück, um sie hineinzulassen. »Bitte.«
    Nervös, unsicher bückte Alice sich unter dem Türsturz hindurch
    und trat in den Raum. Noch immer spürte sie die Intensität seines Blickes. Es war, als versuchte er, sich jede Einzelheit ihres Gesichtes einzuprägen.
    »Monsieur Baillard«, sagte sie und stockte dann.
    Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Seine Freude, sein Erstaunen über ihr Kommen - in Verbindung mit seinem Vertrauen darauf, dass sie kommen würde - machte jede normale Konversation unmöglich.
    »Sie sehen ihr ähnlich«, sagte er langsam. »In Ihrem Gesicht steckt viel von ihr.«
    »Ich kenne sie nur von Fotos, aber ich habe das auch schon gedacht.«
    Er lächelte. »Ich habe nicht Grace gemeint«, sagte er leise und wandte sich dann ab, als hätte er zu viel gesagt. »Bitte, nehmen Sie Platz.«
    Alice sah sich unauffällig in dem Raum um und bemerkte, dass keine modernen Geräte zu sehen waren. Keine Lampen, keine Heizung, nichts Elektrisches. Sie fragte sich, ob es wohl eine Küche gab.
    »Monsieur Baillard«, setzte sie erneut an. »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Ich habe mich gefragt ... woher wussten Sie, wo ich zu finden bin?«
    Wieder lächelte er. »Ist das wichtig?«
    Alice überlegte kurz und befand, dass es das nicht war. »Madomaisela Tanner, ich weiß, was am Pic de Soularac passiert ist. Ich habe nur eine wichtige Frage an Sie, bevor wir weiterreden. Haben Sie ein Buch gefunden?«
    Wie gern hätte Alice diese Frage bejaht. »Leider nein«, sagte sie kopfschüttelnd. »Er hat mich das auch gefragt, aber ich habe keins gesehen.«
    »Er?«
    Ihr Blick verfinsterte sich. »Ein Mann namens Paul Authié .« Baillard nickte bedächtig mit dem Kopf. »Ah, ja«, sagte er so, dass Alice das Gefühl hatte, nichts mehr erklären zu müssen.
    »Aber das hier haben Sie gefunden, nicht wahr?«
    Er hob die linke Hand und legte sie auf den Tisch, wie eine junge Frau, die ihren Verlobungsring zeigt, und Alice sah verblüfft, dass er den Steinring trug. Sie lächelte. Er schien ihr so vertraut, obwohl sie ihn höchstens ein paar Sekunden in der Hand gehalten hatte.
    Sie schluckte schwer. »Darf ich?«
    Baillard zog ihn sich vom Daumen. Alice nahm ihn und drehte ihn zwischen den Fingern, und wieder beunruhigte sie der forschende Blick ihres Gegenübers.
    »Gehört er Ihnen?«, hörte sie sich fragen, trotz ihrer Angst vor einem Ja und vor all dem, was eine

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