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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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könnten verfolgt werden, nahmen sie nicht den direkten Weg, sondern wanderten erst Richtung Westen nach Fanjeaux, dann südlich nach Puivert und Lavelanet, dann wieder westlich zu den Sabarthès -Bergen.
    Nach dem Fall von Carcassona wimmelte es überall von Soldaten. Sie hatten sich im Land ausgebreitet wie die Ratten. Außerdem gab es Wegelagerer, die die Flüchtlinge erbarmungslos ausraubten. Alaïs und Sajhë zogen immer früh am Morgen und spät am Abend weiter. Tagsüber suchten sie Schutz vor der sengenden Sonne und der Hitze. Es war ein besonders heißer Sommer, daher schliefen sie nachts draußen. Sie ernährten sich von Nüssen, Beeren, Obst, von allem, was sie fanden. Alaïs mied die Ortschaften, außer sie wusste, dass sie irgendwo Unterschlupf finden würden.«
    »Woher wussten sie, wohin sie gehen mussten?«, fragte Alice, die an ihre eigene Anreise vor wenigen Stunden denken musste. » Sajhë hatte eine Landkarte, die er von seiner ...«
    Ihm versagte die Stimme vor Trauer. Alice wusste nicht, warum, aber sie streckte den Arm aus und nahm seine Hand. Das schien ihn zu trösten.
    »Sie kamen gut voran«, erzählte er weiter, »und erreichten Los Seres kurz vor dem Festtag von Sant-Miquel, Ende September, gerade als das Land sich golden färbte. Hier in den Bergen roch es schon nach Herbst und nasser Erde. Rauch hing über den Feldern, als die Stoppeln abgebrannt wurden. Es war eine neue Welt für die beiden, die doch in den dunklen Gassen und überfüllten Straßen von Carcassona aufgewachsen waren. Dieses Licht. Dieser endlose Himmel.« Er schwieg kurz und blickte über die Landschaft, die sich vor ihnen ausbreitete. »Verstehen Sie das?«
    Sie nickte, ganz gebannt von seiner Stimme.
    »Harif, der Navigataire, erwartete sie.« Baillard senkte den Kopf. »Als er hörte, was alles geschehen war, weinte er um die Seele von Alaïs' Vater und auch um Simeon. Er weinte, weil die Bücher verloren waren und weil Esclarmonde so umsichtig gewesen war, Alaïs und Sajhë auch ohne sie reisen zu lassen, um das Buch der Wörter in Sicherheit zu bringen.«
    Wieder hielt Baillard inne und schwieg eine Weile. Alice wollte ihn nicht unterbrechen oder zur Eile drängen. Die Geschichte würde sich selbst erzählen. Er würde sprechen, wenn er so weit war.
    Sein Gesicht wurde weicher. »Es war eine gesegnete Zeit, in den Bergen und auch in den Niederungen, wenigstens schien es zunächst so. Trotz der unbeschreiblichen Gräuel bei der Eroberung von Besièrs glaubten viele Carcassonais, dass sie bald wieder nach Hause zurückkehren dürften. Viele vertrauten der Kirche. Sie dachten, wenn die Häretiker erst vertrieben wären, könnten sie selbst ihr altes Leben weiterführen.«
    »Aber die Kreuzfahrer zogen nicht wieder ab«, sagte sie. Baillard schüttelte den Kopf. »Es war ein Eroberungskrieg, kein Glaubenskrieg«, sagte er. »Nachdem die Ciutat im August 1209 besiegt worden war, wurde Simon de Montfort zum Vicomte gewählt, obwohl Raymond-Roger Trencavel noch am Leben war. Heutzutage lässt sich kaum nachvollziehen, wie unerhört, wie schlimm dieses Vergehen war. Es lief aller Tradition und Ehre zuwider. Kriege wurden teilweise mit den Lösegeldern finanziert, die adelige Familien einander bezahlten. Solange ein seigneur nicht eines Verbrechens überführt worden war, wurde sein Land niemals konfisziert und einem anderen gegeben. Deutlicher hätten die Nordfranzosen ihre Verachtung gegenüber dem Pays d'Oc gar nicht zum Ausdruck bringen können.«
    »Was geschah mit Vicomte Trencavel?«, fragte Alice. »Ich habe überall in der Cité gesehen, dass man dort sein Andenken ehrt.« Baillard nickte. »Er ist es wert, dass man sich seiner erinnert. Er starb - wurde ermordet - nach drei Monaten Kerkerhaft im Château Comtal, im November 1209. De Montfort ließ bekannt geben, der Vicomte sei an der Ruhr gestorben. Niemand glaubte das. Es gab sporadische Aufstände und Unruhen, bis de Montfort schließlich gezwungen war, Raymond-Rogers zweijährigem Sohn und Erben eine jährliche Apanage von dreitausend Sol zu zahlen. Dafür wurde ihm die Vizegrafschaft rechtmäßig überlassen.«
    Plötzlich tauchte vor Alice' geistigem Auge ein Gesicht auf. Eine fromme, ernste Frau, hübsch, ihrem Gatten und Sohn treu ergeben.
    »Dame Agnès«, murmelte sie.
    Baillard hielt ihren Blick einen Moment lang fest. »Auch ihr Andenken wird innerhalb der Mauern der Ciutat bewahrt«, sagte er leise. »De Montfort war ein frommer Katholik. Er war -

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