Willküra (German Edition)
1
Der Willkürherrscher lief aufgeregt in seinem Konferenzraum auf und ab. Seit längerer Zeit schon ging ihm der Gedanke durch den Kopf, dass das Verhältnis zwischen ihm und seinen Untertanen unstimmig war.
Eigentlich kein Thema, welches er mit irgendjemandem an seinem Willkürherrschaftlichen Hof besprechen wollte, dennoch brauchte er nun dringend Rat.
So dringend, dass er seine Schwester hatte rufen lassen.
Die Schwester des Willkürherrschers saß ruhig auf einem der Konferenzstühle und sah dem Willkürherrscher dabei zu, wie er aufgeregt hin- und herlief.
»Meine Untertanen sind eine reine Zumutung!«, rief er ihr plötzlich laut entgegen. »Sie sind wie die Pest, sie werden mich kaputt machen! Sie werden mich eines Tages noch zermürben!«
Plötzlich schaute er seine Schwester streng an. Fast so streng, als würde er vermuten, dass sie dahinter steckte. Dabei wollte er nur mal prüfen, wie sie auf seinen Wutausbruch reagierte.
Denn eigentlich hatte er Wut nicht in seinem Charakter angelegt, was ihn ärgerte, denn das war für einen Willkürherrscher eine praktische Gabe. Deshalb musste er diese Facette üben und sich immer wieder neu vergewissern, ob er damit überzeugend wirkte.
Die Schwester des Willkürherrschers schien nicht sonderlich beeindruckt. Sie saß völlig ungerührt da.
»Sie fügen sich, verstehst du, das Volk fügt sich mir!«, klagte der Willkürherrscher weiter.
Er nutzte die Situation, dass er vor seiner Schwester die ungezügelte Wut üben konnte und legte noch mehr davon in seinen ganzen Körper. Jetzt ging er noch aufgeregter hin und her, seine Schritte wurden energischer und er immer lauter.
»Egal, wie wütend ich bin, welch unverschämte Bedingung mir über die Lippen kommt, was immer ich von ihnen verlange, sie kommen und sagen: ‚Ja, Herr‘, ‚Ganz wie Sie es sich wünschen, Herr‘ ‚Sehr gern, Herr!’ Und«, der Willkürherrscher schüttelte verständnislos den Kopf, »sie verbeugen sich auch noch leicht dabei.«
Wieder drehte der Willkürherrscher sich unerwartet zu seiner Schwester um und schoss mit seinem Gesicht ganz nah an ihres heran.
Doch auch das löste keinerlei Reaktion bei ihr aus. Es war, als hätte sie ihre Reaktionen auf die Umwelt abgeschaltet.
Das Einzige was sie dem Willkürherrscher zugestand, war ein verständnisvolles, winziges Nicken.
Der Willkürherrscher ging zum Fenster und schaute laut ausatmend hinaus.
Im Garten schritt ein Gärtner den Weg zwischen zwei Pflanzen ab und notierte etwas in einem kleinen Block. Das wiederholte er zwischen verschiedenen Pflanzen immer wieder.
»Warum hantiert der Gärtner da mit Stift und Papier?«, fragte sich der Willkürherrscher, erinnerte sich dann aber wieder daran, dass er am Tag zuvor verboten hatte, in diesem Teil des Gartens moderne Technik zu benutzen.
Zugegebenermaßen grundlos, dieses Verbot, aber es gehörte nun mal zu seinem Amt, von Zeit zu Zeit seine Willkür zu demonstrieren.
Er wollte ein guter Willkürherrscher sein, also alles dafür tun, dass sein Volk ihm mit Angst begegnete. Denn nur dann wurden er und seine Arbeit vom Volk entsprechend gewürdigt.
Doch wieder stimmte hier etwas nicht: der Gärtner arbeitete mit einem Lächeln, so als wäre es ihm sogar ein Vergnügen, dem willkürlichen Befehl zu befolgen.
Angst und Ehrfurcht, das muss in ihnen vorgehen, damit sie mich schätzen, nicht Frohsinn und gute Laune, dachte der Willkürherrscher.
Er schüttelte erneut seinen Kopf.
»Wie soll ich gut willkürlich herrschen, wenn es den Untergebenen Recht ist, was mit ihnen passiert?«
Dann murmelte er leise.
»Sie ergeben sich scheinbar gern meinen Befehlen, ist das nicht paradox?«
Hastig kam er wieder zum Tisch rüber und setzte sich neben seine Schwester. Er wirkte fast ein wenig ängstlich.
»Meine Untertanen unterwandern meine schreckliche Willkürherrschaft, indem sie alles widerstandslos hinnehmen. Findest du nicht auch, dass das ein perfider Versuch ist, mich überflüssig zu machen?«
Obwohl der Willkürherrscher seine Schwester nun hilfesuchend ansah, blieb sie in ihrem Ausdruck genau so indifferent wie zuvor.
»Sie werden meinen Rücktritt verlangen, weil ich nicht Angst und Schrecken verbreite, wie es sich für einen Willkürherrscher gehört. Oder was meinst du?«
Die Schwester des Willkürherrschers schaute ihn unverwandt neutral an, führte ihre rechte Hand an ihre Lippen, schob den Ringfingernagel zwischen ihre Zähne und begann daran zu kauen.
Soll ich
Weitere Kostenlose Bücher