Das Verlorene Labyrinth
Pierre-Roger de Mirepoix ließ ihn nur ungern ziehen, aber Sajhë hatte ...«
Er brach ab, stand auf und ging ein Stück den Hügel hinunter. Als er weitersprach, drehte er sich nicht um.
»Er war sechsundzwanzig«, sagte er. » Alaïs war älter, doch Sajhë ... er machte sich Hoffnungen. Er sah Alaïs jetzt mit anderen Augen, nicht mehr so, wie ein Bruder seine Schwester sieht. Er wusste, dass eine Heirat ausgeschlossen war, denn Guilhem du Mas lebte noch, aber er träumte davon, dass jetzt, wo er sich doch bewiesen hatte, mehr zwischen ihnen sein könnte.«
Alice zögerte kurz, dann stand sie auf und trat neben ihn. Als sie die Hand auf seinen Arm legte, fuhr Baillard zusammen, als hätte er ganz vergessen, dass sie da war.
»Was geschah dann?«, fragte sie leise und war seltsam nervös. Sie hatte das Gefühl, als würde sie eine Geschichte belauschen, die zu intim für fremde Ohren war.
»Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, um mit ihr zu reden.« Baillard zauderte. »Harif wusste es. Wenn Sajhë ihn um Rat gebeten hätte, dann hätte er ihn gewarnt. So jedoch behielt er seine Meinung für sich.«
»Vielleicht wusste Sajhë , dass ihm das, was Harif zu sagen hatte, nicht gefallen würde.«
Baillard lächelte schwach, traurig. »Benleu.« Vielleicht. Alice wartete.
»Und dann ...«, drängte sie sanft, als sie merkte, dass er nicht von allein weitersprechen würde. »Hat Sajhë ihr gesagt, was er für sie empfand?«
»Ja.«
»Und?«, fragte Alice rasch. »Was hat sie gesagt?«
Baillard wandte sich um und sah sie an. »Wissen Sie es nicht?«, sagte er fast flüsternd. »Beten Sie zu Gott, dass Sie nie erfahren müssen, wie es ist zu lieben, so zu lieben, ohne jede Hoffnung, dass diese Liebe erwidert wird.«
Es war verrückt, aber Alice hatte das Bedürfnis, Alaïs zu verteidigen. »Aber sie hat ihn doch geliebt«, sagte sie mit Bestimmtheit. »Wie einen Bruder. War das nicht genug?«
Baillard lächelte sie an. »Er hat sich damit abgefunden«, antwortete er. »Aber genug? Nein. Es war nicht genug.«
Er wandte sich ab und ging zurück Richtung Haus. »Gehen wir hinein?«, sagte er, nun wieder ganz förmlich. »Mir ist ein wenig warm. Und Sie, Madomaisela Tanner, sind nach der langen Fahrt doch bestimmt müde.«
Alice fiel auf, wie bleich, wie erschöpft er plötzlich aussah, und sie hatte ein schlechtes Gewissen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie sich länger unterhalten hatten, als sie gedacht hatte. Es war fast Mittag.
»Natürlich«, sagte sie rasch und bot ihm ihren Arm an. Langsam gingen sie zurück zum Haus.
»Wenn Sie mich entschuldigen würden«, sagte er leise, sobald sie eingetreten waren. »Ich muss mich ein Weilchen hinlegen. Vielleicht ruhen Sie sich auch ein wenig aus?«
»Ich bin wirklich müde«, gab sie zu.
»Anschließend mache ich uns etwas zu essen, und dann erzähle ich die Geschichte zu Ende. Bevor es Abend wird und wir unsere Gedanken anderen Dingen widmen.«
Sie wartete, bis er in den hinteren Teil des Hauses gegangen war und den Vorhang zugezogen hatte. Sie fühlte sich seltsam verlassen, als sie sich eine Decke nahm und damit nach draußen ging .
Sie machte es sich unter den Bäumen bequem. Erst jetzt merkte sie, dass die Vergangenheit ihre Phantasie so beschäftigt hatte, dass sie kein einziges Mal an Shelagh oder Will gedacht hatte.
Kapitel 68
Pic de Soularac
W as machst du da?«, fragte François-Baptiste, als er das kleine, unscheinbare Chalet nicht weit vom Pic de Soularac betrat.
Marie-Cécile saß am Tisch und hatte das Buch der Zahlen vor sich aufgeschlagen auf einem schwarz bespannten Lesepult liegen. Sie schaute nicht auf.
»Ich seh mir den Grundriss der Kammer an.«
François-Baptiste setzte sich neben sie. »Aus einem bestimmten Grund?«
»Ich will mir die Unterschiede zur Labyrinth-Höhle einprägen.« Sie spürte, dass er ihr über die Schulter schaute.
»Gibt's viele?«, fragte er.
»Ein paar. Den hier zum Beispiel«, sagte sie und zeigte mit dem Finger, ohne das Buch zu berühren. Ihr roter Nagellack schimmerte unter den Schutzhandschuhen aus Baumwolle. »Unser Altar ist hier, wie eingezeichnet. In der richtigen Höhle ist er näher an der Wand.«
»Aber ist denn dann nicht das Labyrinth an der Wand verdeckt?«
Sie wandte den Kopf und sah ihn an, weil sie über die intelligente Frage erstaunt war.
»Und wenn die ursprünglichen Hüter das Buch der Zahlen bei ihren Zeremonien benutzt haben, so wie die Noublesso Véritable auch,
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