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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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nicht erkannt zu werden. Nach seinem lebenslangen Kampf gegen die Franzosen war sein Gesicht bekannt. Er konnte es sich nicht leisten, ergriffen zu werden. Unauffällig schaute er sich um.
    Falls seine Informationen richtig waren, dann steckte Oriane irgendwo in dieser Menge. Er war entschlossen, sie von Alaïs fern zu halten. Nach all der Zeit genügte noch immer allein der Gedanke an Oriane, um seinen Zorn aufwallen zu lassen. Er ballte die Fäuste, brannte darauf zu handeln, statt sich verstellen oder warten zu müssen, brannte darauf, ihr einfach ein Messer ins Herz zu stoßen, wie er es schon vor dreißig Jahren hätte tun sollen. Doch Guilhem wusste, dass er sich in Geduld fassen musste. Wenn er jetzt zuschlug, würde er niedergestochen, bevor er sein Schwert ziehen könnte.
    Er ließ den Blick über die Zuschauerreihen gleiten, bis er das Gesicht sah, das er suchte. Oriane saß in der Mitte der vordersten Reihe. Nichts erinnerte mehr an die Dame aus dem Süden. Sie war erlesen gekleidet, aber im strengeren, edleren Stil des Nordens. Ihr blauer Samtmantel mit Kapuze hatte einen Goldbesatz und einen dicken Hermelinkragen. Dazu trug sie passende Winterhandschuhe. Ihr Gesicht war zwar noch immer eindrucksvoll schön, aber es war hager geworden und hatte einen harten, verbitterten Ausdruck angenommen.
    In ihrer Begleitung war ein junger Mann. Die Ähnlichkeit war groß, und Guilhem vermutete, dass es einer ihrer Söhne war. Er hatte gehört, dass Louis, der älteste, an dem Kreuzzug teilnahm. Er hatte Orianes Hautton und dunkle Locken und das Adlerprofil seines Vaters.
    Ein Ruf erschallte. Guilhem wandte sich um und sah die Prozession der Gefangenen, die den Fuß des Berges erreicht hatten und jetzt auf den Scheiterhaufen zugetrieben wurden. Sie gingen ruhig und würdevoll. Sie sangen. Wie ein Engelschor, dachte Guilhem, als er sah, mit welch unbehaglicher Miene die Zuschauer auf den lieblichen Gesang reagierten.
    Der Seneschall von Carcassonne, Hugues des Arcis, stand Schulter an Schulter mit dem Erzbischof von Narbonne. Auf sein Zeichen hin wurde ein goldenes Kreuz hoch in die Luft gehoben, und die Dominikanermönche und übrigen Geistlichen bewegten sich nach vorn, um sich vor der Palisade aufzustellen.
    Hinter ihnen sah Guilhem eine Reihe von Soldaten mit brennenden Fackeln. Die Flammen flackerten und loderten in dem schneidenden, böigen Nordwind, und die Soldaten bemühten sich, so gut sie konnten, dass der Rauch nicht zu den Tribünen hinüberwehte.
    Die Namen der Häretiker wurden einzeln aufgerufen. Sie traten vor und stiegen die Leitern zum Scheiterhaufen hoch. Guilhem war vor Entsetzen wie betäubt. Es quälte ihn, dass er die Hinrichtungen nicht verhindern konnte. Aber er wusste auch, dass er den Todgeweihten keinen Gefallen damit täte, selbst wenn er genug Männer bei sich hätte. Guilhem hatte viel Zeit in Gesellschaft der Bons Homes verbracht, umständehalber, nicht aus Glaubensgründen. Er bewunderte und achtete sie, aber er konnte nicht behaupten, dass er sie verstand.
    Die Reisig- und Strohhaufen waren mit Pech getränkt worden. Ein paar Soldaten waren hinaufgeklettert und ketteten die par- faits und parfaites nun an die Pfähle in der Mitte.
    Bischof Marty begann zu beten.
    »Payre sant, Dieu dreiturier dels bons esperits.«
    Nach und nach fielen andere Stimmen ein. Das Raunen wurde stärker, bis es zu einem lauten Sprechchor angeschwollen war. Die Zuschauer auf den Tribünen warfen einander peinlich berührte Blicke zu und wurden unruhig. So etwas hatten sie nicht sehen wollen.
    Eilig gab der Erzbischof ein Zeichen, und die Geistlichen, deren schwarze Kutten im Wind flatterten, stimmten den Psalm an, der gleichsam zur Hymne des Kreuzzugs geworden war. Laut sangen sie die Worte Veni Spirite Sancti, bis sie die Gebete der Katharer übertönten.
    Der Bischof trat vor und warf die erste Fackel hinter die Palisade. Die Soldaten taten es ihm gleich. Eine nach der anderen flogen die brennenden Fackeln hinein. Zunächst wollte das Feuer nicht recht in Gang kommen, doch schon bald wurde das Knistern und Prasseln laut und unüberhörbar. Die ersten Flammen züngelten wie Schlangen durch das Stroh, zuckten mal hierhin mal dorthin, blähten sich lodernd auf, wogten wie Schilf im Fluss.
    Durch den Rauch hindurch sah Guilhem etwas, das sein Blut zu Eis gefrieren ließ. Ein roter Mantel, mit Blumen bestickt, ein dunkelgrünes Gewand, moosfarben. Er drängte sich bis ganz nach vorn.
    Er konnte - wollte -

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